dbb magazin 3/2019 - page 35

nachgefragt
durch zusätzliche und erwei­
terte Aufgaben. Es muss erst
verhandelt werden, in welcher
Größenordnung der europäi­
sche Außengrenzenschutz,
Ausgaben für die Entwick­
lungshilfe oder gemeinsame
Verteidigungsprojekte berück­
sichtigt werden.
Deutschland hat sich früh be-
reit erklärt, mehr einzuzahlen
als bisher, um die britischen
Beiträge teilweise auszuglei-
chen. Wie wirkt sich diese
Bereitschaft auf die Verhand-
lungen aus?
Derzeit wissen wir nicht, wie
viel Deutschland letztendlich
in den künftigen MFR einzah­
len wird. In Berlin ist man sich
aber bewusst, wie wichtig ein
starkes Europa ist. Wir profitie­
ren überproportional vom eu­
ropäischen Binnenmarkt: Fast
59 Prozent unserer Exporte ge­
hen direkt in andere EU-Mit­
gliedstaaten; bei den Importen
haben wir mit knapp über 57
Prozent fast gleiche Zahlen.
Wir haben die größte Volks­
wirtschaft in der EU und im
Vergleich zu anderen Staaten,
beispielsweise in Süd- und Ost­
europa, sind wir recht wohlha­
bend. Wir profitieren zudem
massiv von den in Brüssel ver­
handelten Freihandelsabkom­
men mit Drittstaaten. Als
Land, das in solchemMaß vom
gemeinsamen Binnenmarkt
und der europäischen Gemein­
schaft profitiert, zahlen wir zu­
recht auch mehr ein. Nur neh­
men, aber nicht geben wollen,
würde nicht funktionieren. Wir
fördern damit den Zusammen­
halt und sorgen dafür, dass un­
ser wichtigster Absatzmarkt,
von dem viele Arbeitsplätze
abhängen, stabil bleibt.
Wo sollte im EU-Haushalt ge-
spart werden? Wo sollte mehr
ausgegeben werden?
Der EU-Haushalt finanziert eine
Vielzahl von Programmen, die
einen Mehrwert für unsere Bür­
gerinnen und Bürger schaffen
und adäquat gefördert werden
müssen. Dazu gehören Pro­
gramme zur Förderung von
neuen Schlüsseltechnologien,
wie zum Beispiel künstliche
Intelligenz, Krebsforschung,
europäische Kommunikations­
satelliten, emissionsärmere
Flugzeuge oder die sichere und
nachhaltige Lebensmittelpro­
duktion. Mehrausgaben muss
es zudem für das Austauschpro­
gramm Erasmus+, mit verstärk­
tem Blick auch für Auszubilden­
de, sowie die Finanzierung von
Bildungsreisen von über 18-Jäh­
rigen mithilfe des Interrail-Tickets geben.
Mir ist es eine Herzensangele­
genheit, dass so viele junge
Menschen wie möglich die
Vielfalt Europas als Bereiche­
rung und nicht als Bedrohung
kennenlernen. Bei Program­
men, die ihr Ziel nicht errei­
chen oder keine Akzeptanz
finden, muss der Rotstift ange­
setzt werden. Dazu gehören
die Heranführungsgelder für
die Türkei. Ein Land, das die
Rechtstaatlichkeit massiv ab­
baut und wahllos Journalisten
verhaftet, hat keinen Anspruch
auf unsere finanzielle Unter­
stützung. Allgemein sollte man
beim EU-Haushalt aber nicht
nur ans Sparen denken, son­
dern mehr an die effizientere
Verwendung der Gelder, um
mit den vorhandenen Mitteln
den größtmöglichen Nutzen zu
erzielen.
Warum kann die EU keine
eigenen Steuern erheben?
Die Steuerhoheit liegt bei den
Mitgliedstaaten. Beim Thema
Steuern sind die Möglichkeiten
der Europäischen Union und
des Parlaments daher be­
grenzt. Der Plan, Eigenmittel
für den EU-Haushalt zu gene­
rieren, ist aber ein spannendes
Thema. Es gibt beispielsweise
die Idee, eine Steuer auf die
Umsätze oder Gewinne von
Digitalriesen wie Facebook
und Google zu erheben. Diese
Unternehmen zahlen nach wie
vor deutlich niedrigere Steuern
als Unternehmen klassischer
Branchen, profitieren aber
massiv vom Europäischen
Binnenmarkt. Gleichzeitig
drängen sie kleineren Mitglied­
staaten ihre Steuervorstellun­
gen auf. Die Kommission muss
hier einschreiten und die Ein­
haltung von Regeln der Steuer­
fairness sicherstellen.
Welchen konkreten Mehrwert
bringt Europa für den Kampf
gegen Steuerbetrug und -ver-
meidung?
Als Parlament fokussieren wir
unsere Arbeit auf die Steuer­
themen, die zum reibungslo­
sen Funktionieren des Binnen­
markts beitragen. Ein wesent-
licher Bestandteil ist dabei der
Kampf gegen Steuerhinterzie­
hung und Steuervermeidung.
Es muss in unser aller Interesse
liegen, dass jeder seinen fairen
Anteil bezahlt. Den Mitglied­
staaten der EU sind aufgrund
von Steuerbetrug und man­
gelnder Steuereintreibung
2016 geschätzte 147,1 Milliar­
den Euro an Mehrwertsteuer-
einnahmen entgangen. Eine
wichtige Rolle soll hier zukünf­
tig die Europäische Staatsan­
waltschaft übernehmen. Bei
grenzüberschreitend rechts­
widrigen Praktiken soll sie ein­
schreiten und nicht geahndete
Steuervergehen in den Mit­
gliedstaaten verfolgen.
Eine wichtige Aufgabe wird
auch die Untersuchung und
Verfolgung von Straftaten wie
der Missbrauch von EU-Förder­
geldern sein. Von großer Be­
deutung beim Thema Steuern
ist auch die Generaldirektion
für Wettbewerb der Europäi­
schen Kommission, die in den
letzten Jahren verstärkt gegen
große amerikanische IT-Unter­
nehmen vorgeht, die glauben,
sich nicht an die Regeln halten
zu müssen. Ich möchte hier das
Steuerabkommen zwischen
Irland und Apple erwähnen,
das in der Zwischenzeit für
rechtswidrig befunden wurde
und das Unternehmen 14 Mil­
liarden Euro kosten wird.
Wie wird das Europäische
Parlament nach der Wahl
aussehen?
Das Wichtigste ist, dass so viele
Bürgerinnen und Bürger wie
möglich am 26. Mai zur Europa­
wahl gehen, um ihre Stimme
demokratisch gesinnten Partei­
en zu geben. Denn jede Stimme
bewegt etwas in Europa und
gerade heute ist jede Stimme
wichtiger als jemals zuvor. Lei­
der beobachten wir in vielen
Ländern ein Erstarken extremer
politischer Lager, die zu mei­
nem Entsetzen wohl auch aus
Russland und den USA unter­
stützt werden, um die EU zu
destabilisieren. Geschlossenes
Handeln der EU-Partnerstaaten
macht uns aber stark gegen un­
faire Handelspraktiken, gegen
erpresserische Vereinnahmung,
gegen militärischen Druck. Ich
hoffe, dass viele das ebenso se­
hen, damit wir nach der Wahl
ein handlungsfähiges Europäi­
sches Parlament haben wer­
den.
Welches Zukunftsszenario
wünschen Sie sich für die
Europäische Union?
Mein Vater Franz Josef Strauß
sagte: „Bayern ist unsere Hei­
mat, Deutschland unser Vater­
land und Europa unsere Zu­
kunft.“ Europa lebt von der
Vielfalt seiner Bürgerinnen und
Bürger, den unterschiedlichen
Traditionen und Denkweisen,
regionalen Eigenheiten und Ge­
bräuchen. Ich wünsche mir ein
Europa, das diese Vielfalt be­
wahrt, sich aber gleichzeitig be­
wusst ist, dass wir im 21. Jahr­
hundert nur gemeinsamen
stark genug sind, diese Vielfäl­
tigkeit aufrechtzuerhalten. De­
mokratie, Meinungsfreiheit,
Rechtsstaatlichkeit und Men­
schenrechte sind europäische
Werte, die wir alle als unum­
stößliche Teile unseres gesell­
schaftlichen Lebens anerken­
nen. Diese Werte und Freiheiten
gilt es zu verteidigen, damit wir
weiterhin unsere Traditionen
leben können und unsere Inte­
ressen gewahrt werden.
Das Interview erschien zuerst
in den dbb europathemen:
35
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