dbb magazin 3/2019 - page 30

frauen
Gespräch mit der Juristin
und Familienrechtsanwältin
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
„Von jetzt ab
machen wir
es anders“
Wie können Frauen stärker an poli­
tischen Entscheidungen beteiligt
werden? Eine Frage, die derzeit heiß
diskutiert wird. Eine Lösung, am bes­
ten eine gesetzliche, sollte schnell ge­
funden werden, um die Gleichstellung
endlich einen entscheidenden Schritt vor­
anzubringen, sagt die promovierte Juristin
Lore Maria Peschel-Gutzeit.
Dr. Peschel-Gutzeit, Sie haben
es in der Männerdomäne Justiz
bis ganz nach oben geschafft
in einer Zeit, in der es für Frauen
extrem schwierig war, über-
haupt beruflich tätig zu sein. Bis
heute arbeiten Sie als Anwältin.
Wer waren Ihre Vorbilder?
Lore Peschel-Gutzeit:
Ich habe 1951 Abitur gemacht,
da konnte man sich noch gar
nicht vorstellen, dass Frauen
bestimmte Berufe ergreifen
würden. Lehrerinnen wurden
sie oder Ärztinnen, das kannte
man schon, aber Juristinnen
nicht. In der Politik gab es im­
merhin zwei Frauen, die sich
mir eingeprägt hatten. Das
war zunächst Annemarie Ren­
ger, die spätere Bundestags­
präsidentin, und als zweite
Elisabeth Schwarzhaupt, die
allererste Bundesministerin im
Kabinett Adenauers. Die mich
umgebenden Personen waren
damals halt alles Männer.
Wie sind Sie mit beruflichen
und persönlichen Widerstän-
den umgegangen?
Ich habe gelernt damit umzuge­
hen. Ein Erlebnis war ausschlag­
gebend. Eines Tages, da war ich
schon relativ weit fortgeschrit­
ten in meiner Laufbahn, rief
mich Björn Engholm an, damals
Ministerpräsident von Schles­
wig-Holstein, und forderte
mich auf, mich für den Posten
der OLG-Präsidentin in Schles­
wig-Holstein zu bewerben. Ich
habe gezögert. Aber auf den
Rat eines guten Freundes hin
habe ich Björn Engholm ange­
rufen und ihm gesagt: Ich mach
es! Damals wurden die OLG-
Präsidenten in Schleswig-Holstein nicht durch einen Rich­
terwahlausschuss bestimmt,
sondern durch das Kabinett.
Das war also eine politische
Entscheidung. Und was jetzt
kommt, habe ich alles erst im
Nachhinein erfahren. Björn
Engholm hatte mich also dem
Kabinett vorgeschlagen und ich
wurde gewählt. Ich saß nach­
mittags im Oberlandesgericht
in Hamburg, als die Meldung
durch die Medien ging: Frau Dr.
Peschel-Gutzeit wird die erste
Präsidentin des OLG Schleswig.
Am nächsten Morgen hielt ich
Vorlesung an der Uni – ein
Blumenmeer erwartete mich.
Die Studenten hatten also
auch
schon davon
gehört. So weit, so
gut. Mittags dann kam ein An­
ruf des Staatssekretärs aus
Kiel: „Sie haben sicher schon
gehört, es gab einen zweiten
Beschluss, wonach Sie nicht
OLG-Präsidentin werden.“ (Dr.
Peschel-Gutzeit wird still, es
entsteht eine längere Pause.)
Tja, und dann saß ich da. Und
ich dachte mir, was ist da pas­
siert. Aber das erzählte mir na­
türlich keiner, das konnte ich
mir nur denken.
Haben Sie jemals heraus­
gefunden, was damals passiert
war?
Erst viele, viele Jahre später
habe ich erfahren, dass ein
Richterkollege dahintersteckte.
In Kiel, da sitzt ja das Kabinett,
hatte er nachträglich gesagt,
„die könnt ihr nicht nehmen.
Die ist viel zu konservativ.“
Davon hat Björn Engholm sich
umstimmen lassen.
Sie haben sich schon am An-
fang ihrer Karriere als Richterin
aktiv für weibliche Karrieren
eingesetzt. Ende der 1960er-
Jahre haben Sie ein Gesetz
initiiert, das es Beamtinnen
(und später auch Beamten)
seither ermöglichte, aus fami­
liären Gründen in Teilzeit zu
arbeiten oder eine familien­
politische Beurlaubung zu neh-
men. Heute auch bekannt als
die „Lex Peschel“. Wie haben
Sie das geschafft?
Es war der Fall einer Richter­
kollegin. Eines Tages kam sie
zu mir und sagte, sie müsse
aufhören. Sie habe ein behin­
dertes Kind, das sie selbst
erziehen und betreuen müsse.
Sie hatte um unbezahlten
Urlaub gebeten, der wurde
abgelehnt. Auch um Teilzeit­
arbeit hatte sie gebeten, die
ist ebenfalls abgelehnt wor­
den. Auch eine Rückkehr nach
der Geburt des Kindes war
nicht möglich.
Ich war damals eine kleine
Landrichterin. Kein Mensch
kannte mich. Also habe ich
mich zunächst an den Deut­
schen Juristinnenbund (djb)
gewandt, dem ich damals
© Vincent Mosch (2)
<<
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit war die erste Frau, die als vorsitzende
Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht arbeitete und die als
zweite Justizsenatorin (nach Eva Leithäuser) vereidigt wurde. Seit den
1960er-Jahren bearbeitet sie juristische Fragen rund um die Gleich-
stellung von Frauen und Männern. 1991 gehörte sie der Gemein-
samen Verfassungskommission an, die mit Fragen zur Ände-
rung sowie Ergänzung des Grundgesetzes im Zuge
der Wiedervereinigung befasst war.
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