dbb magazin 3/2019 - page 31

schon zehn Jahre angehörte.
Wir haben beschlossen, wir
entwickeln einen entsprechen­
den Gesetzentwurf und ziehen
damit in die politische Land­
schaft. Aber wo wir hinkamen
hieß es, unser Vorhaben sei
verfassungswidrig und ver­
stoße gegen die hergebrachten
Grundsätze des Berufsbeam­
tentums. Da gehen wir nicht
ran. Selbst in Karlsruhe beim
Bundesverfassungsgericht:
Dort gab es eine einzige Rich­
terin, Dr. Erna Scheffler – ihr
habe ich den Fall vorgetragen.
Auch sie wies mich ab mit dem
Argument: Eine Frau, die Kin­
der wolle, könne nicht als
Beamtin, als Richterin in den
öffentlichen Dienst gehen, da
sie ja wisse, dass sie dort Voll­
zeit arbeiten, dass sie durchar­
beiten müsse. Schließlich habe
ich mich an eine Kollegin aus
dem djb gewandt, eine FDP-
Bundestagsabgeordnete. Ge­
meinsam haben wir Frauen
aus allen Fraktionen ermutigt,
den Antrag zu unterstützen.
Und schon 1968, zwei Jahre
später, stand es im Bundes­
gesetzblatt. Heute dauert so
etwas mindestens acht bis
zehn Jahre!
Wenn es um die Gleichberech­
tigung von Mann und Frau in
Deutschland geht, dann wird
heute gern der Satz bemüht:
Wir haben kein Erkenntnispro-
blem, sondern ein Umsetzungs-
problem. Stimmen Sie dem zu?
Das ist richtig. Wir haben ge­
nau dies zur Grundlage der
Gemeinsamen Verfassungs­
kommission gemacht, die An­
fang der 1990er-Jahre mit
den im Zuge der deutschen
Wiedervereinigung aufgewor­
fenen Fragen zur Änderung
beziehungsweise Ergänzung
des Grundgesetzes befasst
war, und der ich angehört
habe. Wir haben damals ge­
sagt, wir haben die Gleichbe­
rechtigung seit 1949 in der
Verfassung und es hat sich
auch in der Gleichberechtigung
schon einiges getan. Aber die
Gleichstellung ist nicht er­
reicht.
Und hier sind wir bei der Um­
setzung. Deswegen haben wir
vier Frauen – vier Justizminis­
terinnen – in der Verfassungs­
kommission dafür gesorgt,
dass der Gleichstellungsauf­
trag des Staates, die Gleichbe­
rechtigung tatsächlich durch­
zusetzen und bestehende
Benachteiligungen zu besei­
tigen, heute in der Verfassung
steht. Wir haben um jedes
Wort gerungen.
Warum passiert das nicht? Wo
hakt es bei der Umsetzung des
Gleichstellungsgrundsatzes?
Das ist eine sehr berechtigte
Frage. Und dieses Argument
nutze ich immer, wenn es um
die Frage nach der Besetzung
der Parlamente geht. Kein ein­
ziges deutsches Parlament hat
50 Prozent Frauenanteil. Alle,
Länderparlamente und das
Bundesparlament, schwanken
zwischen 25 und 30 Prozent
Frauenanteil. Immer sind die
Frauen in der Minderheit.
Das heißt, die Männer sind
immer in großer Mehrheit,
sodass die Männer über den
Frauenanteil weggehen kön­
nen. 25, 30 Prozent muss ich
nicht beachten, wenn ich auf
der anderen Seite 70, 75 Pro­
zent der Stimmen habe.
Welche Mittel oder Maßnah-
men helfen aus Ihrer Sicht,
Gleichberechtigung zu ermög­
lichen? Brauchen wir weitere
rechtliche Regelungen?
Ich bin fest davon überzeugt,
dass wir eine gesetzliche Rege­
lung brauchen, obwohl ich
nicht verkenne, dass es einige
Fraktionen ja auch nach gel­
tendemWahlrecht schaffen.
Bündnis 90/Die Grünen, Die
Linke haben über 50 Prozent
und die SPD hat immerhin
40 Prozent weibliche Abgeord­
nete im Bundestag.
Diese Parteien sind schon auf
demWeg, während die Kon­
servativen sich zwischen 17
und 26 Prozent Frauenanteil
bewegen.
Wie ordnen Sie die aktuelle
Debatte zur Parität im Bundes-
tag ein? Kann Parität in der
Politik überhaupt über ein
Gesetz „verordnet“ werden?
Lassen Sie uns über die Argu­
mente reden. Das Wahlrecht
steht nicht in der Verfassung.
Es ist ein einfaches Gesetz, das
ich ändern kann und ändern
muss, wenn die Verfassung es
verlangt. Und da sind wir bei
der Frage: Verlangt es die Ver­
fassung? Ich sage: ja und zwar
aufgrund von Art. 3, Abs. 2,
Satz 2 Ergänzung aus 1994.
Wenn der Staat verpflichtet
ist, die tatsächliche Durch­
setzung der Gleichberechti­
gung herzustellen, um beste­
hende Benachteiligungen zu
beseitigen, dann muss er das
tun. Das Argument, es sei so
schwierig, wegen der Zwei-
Stimmen-Regelung im deut­
schen Wahlsystem, lasse ich
nicht gelten. In Europa gibt es
über 50 Wahlsysteme, da wird
wohl eines dabei sein, das es
ermöglicht, dass Männer und
Frauen in gleicher Weise auf­
gestellt werden.
Wenn Sie das Paritätsproblem
lösen sollten: Wie würden Sie
vorgehen?
Ich würde das Bundeswahlge­
setz ändern. Darin verankert
ist das Zwei-Stimmen-Wahl­
recht und darin ist geregelt,
wer das Recht hat, Kandida­
tinnen beziehungsweise Kan­
didaten aufzustellen. An der
Stelle muss man drängen und
sagen, von jetzt ab machen
wir es anders. Brandenburg ist
hier vorangegangen und es
gibt Diskussionen dazu auf
allen Ebenen, und die muss
es auch geben.
In welcher Verantwortung
sehen Sie hier die Gewerk­
schaften bei der Umsetzung
der Gleichstellung?
Ich habe mich oft gefragt,
welche Rolle hier die Gewerk­
schaften einnehmen. Ich bin
selbst Gewerkschaftsmitglied
und hier absolut solidarisch.
Aber ich habe an vielen Stel­
len die Arbeit der Gewerk­
schaft vermisst, insbesondere
bei der Durchsetzung der Ent­
geltgleichheit. Auch innerhalb
der Gewerkschaften könnte
sehr viel mehr gemacht wer­
den, indemman sagt, wir sind
nach Art. 3, Abs. 2, Satz 2 ver­
pflichtet, die Gleichstellung
herzustellen.
Also stellen wir aussichtsrei­
che Frauen auf aussichtsreiche
Posten, auf die wir bisher
Männer gestellt haben und
zwar immer nach dem Reiß­
verschlussprinzip. Die Männer
darf man dabei nicht verges­
sen. Das kann jede Institution
und damit auch jede Gewerk­
schaft, die genügend Auswahl
in ihrer Mitgliedschaft hat.
Das Gespräch führte
Birgit Strahlendorff.
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