30. Europäischer Abend des dbb
Afrika - der verkannte Kontinent
In vielen wichtigen Bereichen pflegt die Europäische Union Beziehungen zum afrikanischen Kontinent: Handel, Entwicklung, Sicherheit, Migration oder Terrorismusbekämpfung. Auf europäischer Ebene gibt es eine Afrika-Strategie. Dennoch wirkt Vieles wie Stückwerk. Eine zukunftsfeste Idee stabiler und fairer europäisch-afrikanischer Beziehungen scheint es nicht zu geben – oder etwa doch? Unter dem Titel „Die EU und Afrika“ beleuchteten Experten aus Politik und Organisationen am 21. Oktober 2019 im dbb forum berlin das Afrikabild Europas und diskutierten mögliche Strategien der internationalen Zusammenarbeit.
Manuel Sarrazin, MdB, Vorsitzender der interfraktionellen Parlamentariergruppe der Europa-Union Deutschland, begrüßte die mehr als 400 Teilnehmenden im dbb forum berlin und betonte, dass die Europäische Union die Bedeutung der Nähe zwischen Europa und Afrika in den vergangenen Jahren in einem positiven Sinne neu bewertet habe. So sei die Zusammenarbeit offener und intensiver geworden. Mit Blick auf die gemeinsame Zukunft Europas und Afrikas erinnerte Sarrazin an die Schuman-Erklärung, mit der der damalige französische Außenminister Robert Schuman 1950 die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorgeschlagen hatte – die erste einer Reihe supranationaler europäischer Institutionen, die schließlich zur heutigen EU wurden.
„Schuman erläuterte, wozu die gemeinsam Kohle- und Stahl-Produktion dienen soll: Zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens. Europa werde mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils“, zitierte Sarrazin. Schon damals also sei Afrika und die Förderung von dessen Entwicklung eines der wesentlichen Ziele der gemeinsamen europäischen Politik gewesen, „deswegen sollten wir auch unsere künftige Zusammenarbeit auf eine noch bessere gemeinsame Basis stellen“, forderte der Bundestagsabgeordnete.
Afrika verstehen heißt differenzieren
„Wir müssen mit Verstand über Afrika reden“ war das Credo des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller. Und wer Afrika differenziert betrachten wolle, müsse wissen, dass die koloniale Ausbeutung von Mensch und Natur in der „Wiege der Menschheit“ spätestens im Jahr 1884 begonnen habe, als die Teilnehmer der Kongokonferenz Afrika auf der Landkarte schufen – mit Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Afrika sei, so Müller, „nicht ein Land“, sondern ein Kontinent, 100 mal größer als Deutschland, der 25 Prozent der Landfläche unserer Erde ausmache und auf dem mindestens 3 000 Sprachen gesprochen würden.
Während China und Indien heute eine dominierende wirtschaftliche Rolle in Afrika spielten, habe auch Europa starke wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen mit Afrika und trage daher Verantwortung. Müller, der den Kontinent oft bereist hat, forderte eine „neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa. Wir dürfen Afrikas Entwicklung nicht anderen Staaten überlassen, deren wirtschaftliche Interessen und Projekte eindeutig auf Ausbeutung der Ressourcen und nicht auf Partnerschaft abzielen.“ Da sich die Afrikanische Union strukturell stark an Europa orientiere, sei es unerlässlich, in Brüssel einen allein für Afrika zuständigen Kommissar in der europäischen Kommission als Ansprechpartner einzusetzen, um die Zuständigkeit zu präzisieren. Bisher seien vier Kommissare mit den Jahrhundertaufgaben beschäftigt gewesen, vor denen Afrika stehe.
Anhand von drei Beispielen illustrierte Müller die bevorstehenden Aufgaben: Bis ins Jahr 2050 werde sich die Bevölkerung in Afrika verdoppeln. Die damit einhergehende Landflucht stelle den Kontinent vor gewaltige Herausforderungen für die Ernährung. In der Folge müsse sich die EU dafür stark machen, Subventionen in Investitionen umzuwandeln und fairen, freien Handel fördern, um die lokale Nahrungsmittelerzeugung zu stärken: „Wir brauchen neue Strukturen eines fairen Handels. Und weil weder Deutschland allein noch die EU es schaffen können, mit allen 54 Staaten Afrikas gleichermaßen zu kooperieren, müssen wir weiter auf Leuchtturmprojekte setzen, mit denen wir die Entwicklungszusammenarbeit beispielsweise schon mit Ghana, Botswana oder Ruanda erfolgreich betreiben.“
Der Energiebedarf Afrikas werde sich bis 2050 nicht nur verdoppeln, sondern auch vornehmlich mit fossilen Energieträgern gestillt, „weil sie vorhanden sind.“ In diesem Zusammenhang forderte Müller eine Internationalisierung des Klimaschutzes, „damit auch in Afrika Jobs entstehen und ein besserer Zugang zu Bildung möglich ist.“
Letztlich drängten pro Jahr bis zu 30 Millionen junge Arbeitskräfte auf die Märkte: „Wir tragen eine gemeinsame Verantwortung, dass die jungen Leute, die sich auf eine gefährliche Flucht ins reiche Europa begeben, keinen Grund haben, ihre Heimat zu verlassen. Die meisten haben keinen Job und keine Ausbildung, sondern nur ein Handy. Und auf dem sehen sie täglich trügerische Bilder vom Leben im fernen Europa, wo die Reichen etwa auf dem Oktoberfest feiern und saufen.“ Die EU könne Migration nur steuern und tragische Fluchtschicksale verhindern, wenn sie fördere, fordere und vor allem den Transfer von Bildung forciere.
Verschiedene Blickwinkel angleichen
Deutlich größere Nähe zu den originären Interessen der Bewohner Afrikas reklamierte Abdou Rahime Diallo. „Europäer und Afrikaner haben komplett verschiedene Blickwinkel“, stellte der aus Guinea stammende Vorsitzende und Mitbegründer des Netzwerks Migrantenorganisationen Brandenburg fest. Während sich die Europäer mal mehr mal weniger mit den Verheerungen auseinandersetzten, die sie zur Kolonialzeit angerichtet hatten, sagten Afrikaner: „Hey, wir haben überlebt“, und kämen so auch damit klar, dass im Umgang mit Afrika noch immer koloniale Untertöne mitklängen.
„Deshalb finde ich es bedauerlich, dass heute Abend nicht mehr Leute aus Afrika hier mit auf dem Podium sitzen“, sagte Diallo, der unter anderem Ministerien der Afrika-Karibik-Pazifik-Region in der Migrations- und Entwicklungspolitik berät. Wie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller empfahl auch Diallo, für eine erfolgreiche Förderung auf gezielte Partnerschaften mit einzelnen Ländern zu setzen und dabei genauestens auf die Einhaltung sozialer Standards zu achten. „Wenn sich Unternehmen in Afrika ansiedeln, regieren oft immer noch kolonialistische Verhältnisse. In Äthiopien verdient eine Näherin noch immer deutlich weniger als ihre schlecht bezahlte Kollegin in Bangladesh: Was tun wir da?“ Arbeitsplätze zu schaffen dürfe nicht auf Kosten der lokalen Märkte gehen.
Afrika ist nicht gleich Armut
Tobias Gerster, Abteilungsleiter Afrika Überregional bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (giz), bedauerte, dass der Armutsbegriff „das Bild von Afrika leider noch allzu oft bestimmt“. Dabei sei Afrika der „Kontinent der Zukunft, der Jugend und der Vielfalt“. Zudem befänden sich dort ein großer Teil der schnellstwachsenden Wirtschaften weltweit. „Afrika sollte daher nicht Gegenstand unseres Gutmenschentums sein, sondern unser Partner auf Augenhöhe werden“, appellierte er. In internationalem wirtschaftlichen Engagement sieht der Afrika-Experte aktive Entwicklungsperspektiven. „Afrika leidet noch immer unter den Auswirkungen des kolonialen Erbes“.
Zur Hebung der ökonomischen Potenziale gehe es insbesondere um eine Stärkung der Märkte. Fernziel sei etwa die Schaffung einer interkontinentalen afrikanischen Freihandelszone. Von der Europäischen Union wünscht sich Gerster künftig eine partnerschaftlichere Orientierung gegenüber Afrika: „Man muss mehr miteinander reden und mehr voneinander lernen.“ In punkto Migration stellte Gerster klar, dass „die bei weitem größten Anteile der Migration auf dem afrikanischen Kontinent selbst stattfinden und sich mehrheitlich nicht in Richtung Europa bewegen“. Dieser Umstand sollte in keiner Diskussion fehlen.
Wirtschaftliche Chancen nutzen
„Die deutschen Unternehmen, die in Afrika investieren, verstehen sich nicht als entwicklungspolitische Akteure“, stellte der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, Christoph Kannengießer, klar: „Da geht es nicht um altruistische Motive, sondern um wirtschaftliche.“ Gleichwohl hätten ihre Investitionen positive Entwicklungseffekte, schließlich entstünden dringend gebrauchte Arbeits- und Ausbildungsplätze. Bedenklich sei allerdings, dass die deutsche Wirtschaft beim Ranking der Direktinvestitionen in Afrika nur im Mittelfeld lande: „Da liegen wir sogar noch hinter Malaysia.“
Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft appellierte hier an die Bundesregierung, die staatliche Risikoabsicherung auszubauen. „Vor allem bei den regenerativen Energien gibt es für die deutsche Wirtschaft in Afrika große Chancen. Der Kontinent könnte – entsprechende Investitionen vorausgesetzt - seinen Energiebedarf mit Solar- und Windkraftwerken eines Tages selbst decken - und das ist genau die Branche, in der der deutsche Mittelstand weltmarkführend ist,“ so Kannengießer. Außerdem sollte die Politik sich auf EU-Ebene für eine verstärkte Koordination der europäischen Wirtschaftsinvestitionen in Afrika einsetzen. Anders werde man mit dem massiven chinesischen Engagement auf dem Kontinent ohnehin nicht mithalten können.
Neben staatlicher Unterstützung sei aber vor allem die Risikobereitschaft der deutschen Unternehmer gefragt: „25 Prozent der arbeitenden Bevölkerung der Welt werden in ein paar Jahren in Afrika leben. Das ist der ‚Zukunftskontinent‘ für die Weltwirtschaft, mit enormen Chancen für mutige Unternehmer.“
Zivilgesellschaften stärken
Mit Sorge betrachtete Heike Spielmans, Geschäftsführerin des Verbandes Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), den Einfluss klimatischer Veränderungen auf den afrikanischen Kontinent. „Afrika hat keinen Anteil an der Klimakrise, es leidet aber stark darunter.“ Besonders ländliche Regionen Afrikas seien sehr anfällig für klimatische Einflüsse. Daher lassen sich ihrer Auffassung nach Entwicklungs- und Klimapolitik nicht voneinander trennen: „Die weitere Entwicklung Afrikas kann nicht wie die Europas verlaufen, weil die Welt das nicht verträgt. Wir müssen daher selbst bereit sein, umzusteuern.“ Das dürfe nicht nur für ausgesprochene Reformstaaten gelten, damit darüber nicht andere afrikanische Staaten vergessen würden.
Als weiteres grundsätzliches Problem der Entwicklungspolitik skizzierte Spielmans, dass die Zivilgesellschaften Afrikas zum Teil stark eingeschränkt seien. In manchen afrikanischen Staaten gebe es kaum politische Partizipationsmöglichkeiten. Stattdessen stünden Korruption und schlechte Staatsführung auf der Tagesordnung. Hier stehe Europa vor der Herausforderung, dass die notwendige Förderung der Demokratie nicht ohne Zivilgesellschaften funktioniere. Auch stelle das wirtschaftliche Engagement internationaler Unternehmen in Afrika in aller Regel keine Entwicklungshilfe dar. „Deswegen muss immer geprüft werden, ob Wirtschaftsansiedlung den Menschen mehr schadet als nützt. Dafür brauchen wir verbindliche Regeln“.
Mit Blick auf die Ursachen von Flucht und Migration warb Spielmans für eine positive Herangehensweise. Während Flucht in Deutschland zu Recht mit Schutzbedürftigkeit assoziiert werde, hafte Migration ein negatives Image an und wecke stets entsprechende Abwehrmechanismen. „Dabei ist Migration fest in der Menschheitsgeschichte verankert. Wir können sie nicht verhindern und sollten das auch nicht.“ Entwicklung sei untrennbar mit Bildung verbunden. Daher sei zirkuläre Migration, im Zuge derer Menschen aus Afrika nach Europa kommen, um zu lernen und das Gelernte dann in ihrer Heimat anzuwenden und weiterzugeben, ein wertvolles Instrument der Entwicklungshilfe. Dafür sei ein positiver Blick auf Migration nötig. Der Afrikanischen Union riet Spielmans, eine wirtschaftliche Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und die Zivilgesellschaften des Kontinents zu fördern.
Afrika ist nicht der Klimakiller
Bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Afrika und der Europäischen Union forderte der ehemalige Bundesumweltminister und Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen Klaus Töpfer, den Fokus auf Nachhaltigkeit zu legen: „Wirtschaftspolitik ohne Berücksichtigung der Ökologie ist schlechte Wirtschaftspolitik.“ Dabei seien aber insbesondere die reichen Industrienationen auch zu Fairness aufgefordert und müssten mit gutem Beispiel vorangehen. „Das Klima haben nicht die Afrikaner kaputt gemacht. Und wir können von ihnen in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften auch nichts fordern, was wir selbst nicht umsetzen, so Töpfer.
Zu einer nachhaltigen Wirtschaft gehöre außerdem, die lokalen Märkte in Afrika zu stärken. „Wir betrachten afrikanische Länder immer nur als Märkte und Rohstofflieferanten. Wir müssen aber die Wertschöpfung vor Ort viel stärker in den Fokus rücken“, erklärte Töpfer. Dabei sollten Unternehmen aktiver Partner sein, die auch selbst auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards drängen. „Gerade Deutschland kann und sollte globalisierungs- und demokratiefähige Technologien entwickeln und transferieren.“
Partnerschaften für die Zukunft
„Viele europäische Zukunftsfragen wie die Migration oder der Klimawandel können nur in einer geregelten Nachbarschaft mit Afrika bewältigt werden. Grundsätze dafür müssen Respekt und Augenhöhe sein“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach in seinem Schlusswort. Der Erfolg Deutschlands und Europas hingen zu einem beträchtlichen von der Gestaltung der Nachbarschaft mit Afrika ab. Daher brauche es eine Afrika-Strategie, die eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf beiden Seiten des Mittelmeeres bewirke. „Funktionierende Staaten sind dabei einer der wichtigsten Ansatzpunkte“, sagte der dbb Chef.
In diesem Zusammenhang müsse der öffentliche Dienst eine stärkere Rolle spielen – jenseits der klassischen Entwicklungszusammenarbeit. Silberbach: „Europäisch-afrikanische Kooperationen, Behördenpartnerschaften, Verwaltungsnetzwerke: all das ist vorstellbar und kann für beide Seiten eine gewinnbringende Investition in die Zukunft sein.“
Hintergrund
Der 30. Europäische Abend war eine Kooperationsveranstaltung von dbb beamtenbund und tarifunion, der Europa-Union Deutschland e.V. mit ihrem Landesverband Berlin, dem Afrikaverein der deutschen Wirtschaft, dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement sowie der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland.