Leitantrag Arbeitsschutz
Positionen des dbb im Arbeitsschutz
A. Herausforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz
Aufgabe des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es zuvorderst, die Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten, indem Vorkehrungen gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten getroffen werden. Diese Maßnahmen sind regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und an neue Gegebenheiten anzupassen. Über diesen reinen Sicherheitsaspekt hinaus muss ein umfassendes Schutzkonzept aber auch die langfristige Erhaltung der Gesundheit der Beschäftigten und deren Wohlbefinden bei der Arbeit zum Ziel haben.
In Deutschland ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz dual organisiert und wird vom staatlichen Arbeitsschutz und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung in gemeinsamer Verantwortung wahrgenommen. Im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten wird die Einhaltung des technischen, medizinischen und sozialen Arbeitsschutzes, beispielsweise hinsichtlich der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes oder der Anforderungen an Arbeitsmittel und Arbeitsstätten, den Umgang mit Gefahrstoffen, überwachungsbedürftigen Anlagen und Medizinprodukten und den Strahlenschutz, überwacht. Die zuständigen Stellen informieren und beraten Unternehmen, Dienststellen und Beschäftigte und unterstützen sie bei der Umsetzung der einschlägigen Vorschriften. Diese Unterstützung erweist sich in der Praxis als unentbehrlich, denn nach wie vor ist die Umsetzung der gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen in den Unternehmen und Behörden nicht immer befriedigend.
Eine weitere Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden sind der technische Verbraucherschutz bzw. die Überprüfung der Sicherheit von Produkten. Hierbei handelt es sich um den Schutz der Bevölkerung vor mechanischen, elektrischen, thermischen oder akustischen Gefährdungen.
Insbesondere die Corona- Krise hat die enorme Wichtigkeit und Notwendigkeit des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in das Bewusstsein vieler Menschen gerückt. Welche Bedeutung ein funktionierendes System des Arbeitsschutzes hat, ist durch die Krise klar zu Tage getreten. Der Stellenwert des Arbeits- und Gesundheitsschutzes muss nicht nur aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Pandemie erhöht werden. So waren beispielsweise die skandalösen Verhältnisse in der Fleischindustrie schon vor Beginn der Pandemie sichtbar, aber erst die drastischen Folgen hieraus haben die Gesetzgebenden bewogen, den Arbeits- und Gesundheitsschutz stärker in den Fokus zu rücken. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde immerhin ein moderater Personalaufbau beschlossen. Diese Maßnahmen können jedoch nur ein erster Schritt sein, denn die jahrzehntelangen Versäumnisse können nicht ad hoc behoben werden. Hier bedarf es eines echten Sinneswandels. Mit der (noch andauernden) Pandemie hat sich in vielen Bereichen auch die Arbeitsweise geändert. Das Mobile Arbeiten hat stark zugenommen. Auch wenn dieser Trend sehr wahrscheinlich nicht in dieser Intensität aufrecht erhalten bleibt, ist jedoch davon auszugehen, dass Mobile Arbeit künftig stärker im Arbeitsalltag vieler Menschen verankert sein wird als in der Zeit vor Corona. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Verantwortung für ihren Arbeits- und Gesundheitsschutz übernehmen müssen als wenn sie in Büro, Behörde oder Fabrik arbeiten. Diese zunehmende (Eigen-)Verantwortung darf aber keinesfalls die Arbeitgebenden oder die Arbeitsschutzbehörden aus ihrer Verantwortung entlassen. Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind auch heute noch nicht selbstverständlich. Viele Betriebe haben beispielsweise bis heute noch keine vollständige Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeitgebenden im Sinne der Beschäftigten auf die Einhaltung und Umsetzung der Schutzvorschriften zu drängen. Diese Verantwortung ist angesichts des Wandels in der Arbeitswelt (Stichwort: Homeoffice) umso dringlicher.
Dem Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt bei der Bewältigung der geschilderten Herausforderungen eine hohe sozialpolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung und Verantwortung zu. Damit er dieser gerecht werden kann, ist es unumgänglich, im Arbeitsschutz nicht nur einen Kostenfaktor bzw. einen Ansatzpunkt für Sparmaßnahmen zur Haushaltssanierung zu sehen, sondern es ist an der Zeit, dieser Bedeutung Rechnung zu zollen und dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitsschutz die Wertschätzung erfährt, die er verdient. Dies schließt mit ein, dass der Arbeitsschutz ausgebaut wird und die dafür notwendige Ressourcenausstattung erhält.
Der gesellschaftliche Wandel und die technologischen Entwicklungen wie die Digitalisierung stellen die Arbeitswelt vor neue Herausforderungen. Insbesondere im öffentlichen Dienst kommen infolge von jahrelangem Personalabbau noch Arbeitsverdichtung, Arbeitsbeschleunigung, Leistungsdruck und Informationsüberflutung hinzu. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Arbeitsschutzbehörden selber. Gleichermaßen verlangt die demografische Entwicklung in Deutschland nach Anpassungen bei der Gestaltung des Arbeits- und betrieblichen Gesundheitsschutzes. So müssen die Menschen aufgrund der Anhebung des Renteneintrittsalters durch eine alters- und alternsgerechte Arbeitsgestaltung in die Lage versetzt werden, die verlängerten Lebensarbeitszeiten gesundheitlich auch bewältigen zu können.
Die neuen Arbeitsbedingungen in Folge der Digitalisierung bieten für viele Erwerbstätige Vorteile im Sinne größerer Flexibilität und neuer Freiräume bei der Arbeitsausübung. Damit diese Vorteile nicht durch die mit permanenter Erreichbarkeit einhergehende Entgrenzung der Arbeit zunichte gemacht werden, müssen unter Mitwirkung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen passende Schutzmechanismen etabliert werden.
Mit Blick auf die zunehmende Zahl an psychischen Erkrankungen müssen die Auswirkungen der neuen Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit der Beschäftigten aufmerksam beobachtet und begleitet werden. Bereits unter den bisherigen Arbeitsbedingungen sind psychische Erkrankungen der Hauptgrund für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. An dieser Stelle müssen Arbeitsschutzbehörden, Arbeitgebende, Mitarbeitende und Gewerkschaften gemeinsam Lösungen finden. Allzu oft ist bei den Gefährdungsbeurteilungen festzustellen, dass gerade der Teil, der sich mit den psychischen Belastungen auseinandersetzt, nicht vollständig ist oder sogar fehlt.
Unabhängig von gesetzlichen Regelungen bedarf es neuer Formen der Arbeitsorganisation und der Prävention, um die Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu schützen und zu fördern. Eine zentrale Rolle muss hierbei das betriebliche Gesundheitsmanagement einnehmen. In vielen Betrieben und Dienststellen existieren bereits unterschiedliche Managementsysteme, die häufig unabhängig voneinander betrieben werden. Der dbb hält ein ganzheitliches System, das die Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit systematisch miteinander verknüpft und in die betrieblichen Prozesse integriert, für zielführender. Im Rahmen ihres Präventionsauftrags müssen die staatliche Arbeitsschutzverwaltung sowie die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln darauf hinwirken, dass in den Dienststellen und Betrieben ein solches systematisches und interdisziplinäres Sicherheits- und Gesundheitsmanagement entwickelt wird und die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden. Dies setzt voraus, dass deren Mitarbeiter falls nötig Qualifikationsmaßnahmen erhalten, die sie in die Lage versetzen, die geforderte umfassende Beratungsleistung kompetent erbringen zu können.
B. Forderungen des dbb
- Der Stellenwert des Arbeits- und Gesundheitsschutzes muss weiter erhöht werden, damit er die politische Akzeptanz und Unterstützung erhält, die ihm aufgrund seiner sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung zukommt.
- Die Corona-Krise hat wie ein Brennglas die Lücken und Versäumnisse des Arbeits- und Gesundheitsschutzes aufgezeigt. Der Gesetzgeber muss dafür sorgen, künftige Epidemien besser zu bewältigen, um den Gesundheitsschutz für Beschäftigte zu verbessern.
- Der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss an die Veränderungen im Berufsalltag angepasst werden, um die Gesundheit der Berufstätigen wirksam schützen und langfristig erhalten zu können.
- Die Arbeitsschutzbehörden und die gesetzlichen Unfallversicherungsträger müssen endlich personell und finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihren vielseitigen Kontroll-, Informations- und Beratungsaufgaben in einem höheren Maße tatsächlich gerecht werden können.
- Unter Beibehaltung der bisherigen bewährten Arbeitsteilung zwischen gesetzlicher Unfallversicherung und Arbeitsschutzverwaltung müssen die Organisationsstrukturen in der Arbeitsschutzverwaltung der Länder dahingehend harmonisiert werden, dass ein bundesweit einheitliches Niveau im Arbeits-, Gesundheits- und technischen Verbraucherschutz erreicht wird, die internationale Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden verbessert wird und die Zuständigkeiten für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen transparenter werden; dies schließt auch die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen mit ein.
- Die Ausbildung der Aufsichtsbeamten/-beamtinnen der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung muss demzufolge länderübergreifend abgestimmt werden.
- Betriebliche Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit müssen in den Dienststellen und Betrieben flächendeckend ein- und durchgeführt werden.
- Die zunehmende Zahl von psychischen Erkrankungen, die durch die Arbeit verursacht wird, muss endlich ernst genommen werden. Hier fällt neben den Arbeitsschutzbehörden, den Arbeitgebenden, den Mitarbeitenden auch den Gewerkschaften und Interessenvertretungen eine entscheidende Rolle zu. Nur gemeinsam kann eine Verbesserung des Arbeitsumfelds dazu führen, dass die psychischen Erkrankungen abnehmen. Hierzu gehört auch eine vollständige Gefährdungsbeurteilung, die psychische Leiden ebenso ernst nimmt, wie körperliche Beschwerden.
Begründung:
bei Bedarf mündlich