Europa und die Steuerpolitik: Gespräch mit Florian Köbler
Florian Köbler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG) und Präsident der Union of Finance Personell in Europe (UFE).
dbb europathemen: Was sind aktuell die größten Baustellen in der europäischen Steuerpolitik?
Köbler: Die zentralen Themen im europäischen Steuerrecht werden derzeit stark durch das BEFIT-Projekt beeinflusst. BEFIT – das für Business in Europe: Framework for Income Taxation steht – zielt darauf ab, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung in der EU zu schaffen. Diese Initiative ist entscheidend, um schädlichen Steuerwettbewerb zu reduzieren und eine harmonisierte Steuerlandschaft zu fördern.
Die Europäische Kommission hat lange über eine Vereinheitlichung der Körperschaftsteuer nachgedacht. Obwohl es in der Vergangenheit Fortschritte gab, lag das Projekt zeitweise auf Eis. Mit der globalen Mindeststeuer ist der Weg für BEFIT nun geebnet. Zur Diskussion stehen zwei Ansätze: einheitliche europäische Standards für die Körperschaftsteuer oder ein europäischer Rechnungslegungsabschluss, der sich an den internationalen IFRS-Standards orientiert und sich vom deutschen System unterscheidet. In Deutschland basiert der Steuerabschluss auf der Handelsbilanz, während internationale Unternehmen oft einen Abschluss nach angelsächsischem Case Law benötigen, der präzise Echtwerte widerspiegelt.
Die DSTG befürwortet eine Lösung nach dem Vorbild der Mehrwertsteuerrichtlinie also einheitlichen Standards für die nationalen Gesetze, um Steuerdumping zu verhindern. Der Wettbewerb um die niedrigste Steuerlast ist schädlich, da Unternehmen durch niedrige Steuersätze und spezielle Vorschriften angelockt werden. Ein Beispiel sind nicht ausgeschüttete Gewinne, die zunächst steuerfrei gestellt werden.
Große Unternehmen nutzen solche Vorteile systematisch aus, um ihre Steuerlast zu senken. Die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer bleibt aber vor allem ein globales Problem. Völlig verhindern lässt es sich nicht. Es ist aber gut, dass es auch auf europäischer Ebene Abwehrmaßnahmen wie das Steueroasenabwehrgesetz gibt.
dbb europathemen: Das Steueroasenabwehrgesetz betrifft aber nur Drittstaaten.
Köbler: Genau das ist das Problem. In Europa herrscht ein intensiver Steuerwettbewerb, der sich aktuell stark auf Rentner und Vermögende konzentriert.
Länder wie Portugal, Spanien und Italien werben beispielsweise mit steuerlichen Anreizen, um wohlhabende Senioren anzuziehen. Ähnliche Angebote werden auch hierzulande diskutiert, etwa für ausländische Fachkräfte. Ich warne davor, denn das befeuert den schädlichen Steuerwettbewerb. Zwar gelingt es uns, den Wettbewerb bei Unternehmen einzudämmen, nun verlagert er sich auf die Ebene der Privatpersonen.
dbb europathemen: Wie sehen die Kolleginnen und Kollegen in der Steuer- und Finanzverwaltung die europäischen Harmonisierungsbestrebungen?
Köbler: Es ist offensichtlich, dass internationaler Handlungsbedarf besteht. Neben dem Steuerwettbewerb muss vor allem die Finanzkriminalität gestoppt werden. Denken wir an die seit Jahrzehnten existierenden Umsatzsteuerkarusselle. Die ARD-Dokumentation „Das Strohmannkartell – Dienstleister für die Mafia“ zeigt erschreckende Details. So kann es nicht weitergehen. Es ist inakzeptabel, dass der Spitzensteuersatz bereits bei mittleren Einkommen greift, während der Staat um Milliarden betrogen wird. Für diese Herausforderungen brauchen wir europäische Lösungen, insbesondere einen verbesserten Datenaustausch und eine einheitliche Rechtsanwendung. Nur so kann die Steuerverwaltung effizient arbeiten und Steuergerechtigkeit sicherstellen.
dbb europathemen: Der dbb kritisiert die in Deutschland im europäischen Vergleich zu langsame Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Wie sieht die Steuerverwaltung das?
Köbler: Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist zu langsam, das betrifft auch die Steuerverwaltung. Unsere Wirtschaft verliert an Wettbewerbsfähigkeit, und wir stehen vor einem gravierenden Fachkräftemangel: Bis 2030 müssen wir mit einem Drittel weniger Beschäftigten auskommen. Es wäre daher realitätsfern, dass wir als DSTG Personalaufstockung fordern. Vielmehr sollten wir uns für einen effektiveren Einsatz der vorhandenen Kräfte einsetzen.
Zwei Dinge sind dringend nötig: Erstens, steuerrechtliche Vereinfachungen. Die Arbeitsbelastung der Ämter muss sinken, etwa indem einfache Arbeitnehmer- oder Rentnerfälle aus der klassischen Steuerverwaltung herausgenommen werden. Zweitens, eine bessere Digitalisierung, um eine datenbasierte Risikoanalyse durchführen zu können.
Obwohl die Steuerverwaltung in Deutschland im Vergleich zu anderen Verwaltungen digital schon sehr weit ist, hinken wir international hinterher. Deutschland muss massiv in die Digitalisierung investieren. Ein Vorbild könnten die USA sein, die bis 2030 rund 80 Milliarden US-Dollar in ihre Steuerverwaltung investieren, finanziert aus dem Inflation Reduction Act. Dort hat man erkannt, dass eine gut funktionierende Steuerverwaltung ein wichtiger Faktor für eine florierende Wirtschaft ist. In einer Expertenkommission der Bundesregierung haben wir kürzlich ausführlich Lösungsmöglichkeiten diskutiert.
dbb europathemen: Ist Europa, was die Steuerverwaltung angeht, eher hilfreich? Oder sorgt auch die europäische Ebene für zu viel Bürokratie?
Köbler: Klare Antwort - Europa bringt überwiegend Vorteile. Wir haben Richtlinien für den Datenaustausch zwischen Steuerverwaltungen und Maßnahmen gegen Steuervermeidung und -betrug. Die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben sich bei diesen Themen klar positioniert. Ein Unterausschuss für Steuerfragen wurde eingerichtet, und ich arbeite in der europäischen Plattform for tax good governance mit. Das Thema ist in Brüssel fest verankert.
Das Problem ist das Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen. Es blockiert Fortschritte, die wir als DSTG begrüßen würden. Ich bin für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der europäischen Steuerpolitik. Vetos einzelner Staaten haben immer wieder gute Entscheidungen verhindert. Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rat wären der richtige Weg. Die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie, heute weithin akzeptiert, wäre mit der jetzigen Anzahl an Mitgliedstaaten kaum mehr umsetzbar. Das zeigt, dass wir in der Steuerpolitik vom Einstimmigkeitsprinzip weg müssen.
dbb europathemen: Wie beurteilen Sie die steuerrechtliche Entwicklung asiatischer digitaler Online-Handelsplattformen wie Temu?
Köbler: Europa reagiert viel zu langsam. Gemeinsam mit Julian Gräfe von ARD Plusminus haben wir Anfang des Jahres den mutmaßlichen Steuer- und Zollbetrug ans Licht gebracht. Im Fokus stehen die Zollfreigrenze von 150 Euro und das sogenannte IOSS Verfahren, das asiatische Plattformen ausnutzen. Der Markt wird mit Paketen überschwemmt, die mit einem Warenwert von unter 150 Euro deklariert sind. Die EU-Kommission schätzt, dass im Jahr 2023 etwa zwei Milliarden solcher Pakete in die EU gelangten, von denen mindestens 65 Prozent unterdeklariert waren. Hier werden Zölle und Umsatzsteuern massiv hinterzogen.
Temu importiert über Lüttich und ist steuerlich in Irland registriert. In Irland wird die Mehrwertsteuer für Deutschland erklärt. Doch die Iren können die Angaben nicht kontrollieren, da sie die Ware nie sehen. Es fehlt an grenzübergreifender Vernetzung zwischen Steuer- und Zollverwaltung, was Betrug begünstigt. Wir fordern schnelle Änderungen, da europäische und deutsche Mitbewerber erhebliche Nachteile erleiden. Die EU-Kommission plant eine Reform des Zollkodex bis 2028, doch das ist zu spät. Die Zollfreigrenze von 150 Euro muss im B2C- Bereich gestrichen werden und der sogenannte „deemed importer“ sollte eingeführt werden – d.h. der Händler muss die zoll- und umsatzsteuerrechtlichen Angelegenheiten erledigen.
Europa entgehen Zölle und Umsatzsteuer in Milliardenhöhe. Wir als DSTG haben hierfür auch einen 5-Punkte Plan entwickelt, der auf der DSTG-Website abrufbar ist. Übrigens: Im Steuerrecht und bei der DSTG ist immer etwas los. Abonniert gern den Instagram-Kanal der DSTG.