Entschließung
Europäisches Jahr der Kompetenzen
Das Europäische Jahr 2023 ist das Jahr der Kompetenzen und dem europaweit spürbaren Fachkräftemangel gewidmet. Es begann am Europatag, dem 9. Mai.
Das Europäischse Jahr der Kompetenzen dient der politischen Sensibilisierung für die politische Herausforderung der Folgen des demografischen Wandels für den Arbeitsmarkt und sieht eine Vielzahl von Initiativen und Veranstaltungen vor.
Nicht nur die Europäische Kommission, auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eine eigene Website erstellt, um auf die Aktivitäten im Rahmen des Europäischen Jahres und die damit verbundenen politischen Ziele aufmerksam zu machen. Die Koordinierung des Europäischen Jahres der Kompetenzen liegt in Deutschland gemeinsam beim BMAS und beim Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Die Bundesregierung lobt sich dafür, dass die EU mit ihrer Themenwahl in Deutschland bereits auf einen fahrenden Zug aufspringe und nennt unter anderem die Veröffentlichung ihrer Fachkräftestrategie im Herbst 2022 als vorbildlich. Allerdings ist der Fachkräftemangel in Deutschland besonders groß, im Grunde bereits ein Arbeitskräftemangel, der sämtliche Branchen und alle Qualifikationsniveaus erfasst hat. Insoweit dürfte auch die Bundesregierung noch weiteren Handlungsbedarf sehen.
Da der Fachkräftemangel ebenso wie der demografische Wandel ein europaweites Phänomen ist, ergeben gemeinsame europäische Strategien besonderen Sinn. Längst ist auch der EU-Binnenmarkt ein gemeinsamer Arbeitsmarkt geworden. Selbst wo dies nicht Arbeitnehmer betrifft, die von ihrer europäischen Grundfreiheit der Freizügigkeit Gebrauch machen, oder Unternehmer, die die Niederlassungsfreiheit nutzen, sind die nationalen Arbeitsmärkte eng miteinander verbunden. Denn der Fachkräftemangel in einer europäischen Region führt zum Beispiel sehr schnell auch zu Lieferengpässen, die sich auf andere europäische Regionen und insgesamt für die europäische Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit nachteilig auswirken.
Für den öffentlichen Dienst ist der Fachkräftemangel eine mindestens ebenso große Herausforderung wie für die Wirtschaft. Da die Privatwirtschaft meist höhere Löhne bieten kann, kommt es für die Attraktivität des öffentlichen Diensts als Arbeitgeber zuvorderst auf die weiteren Arbeitsbedingungen und andere strukturelle Merkmale an, wobei auch die im Dienst für Staat und Gemeinwohl erzielbaren Einkommen nicht völlig abgehängt werden dürfen, wenn der öffentliche Dienst wettbewerbsfähig bleiben soll.
Weiterhin sind die gesamte Diskussion und die zu entwickelnden Strategien gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel auch für wesentliche Bereiche der Leistungsverwaltung, vor allem der Arbeitsverwaltung, zentrale Themen. Ganz besondere Bedeutung kommt der Bildung zu. Dabei geht es einerseits um Fort- und Weiterbildung, um Umschulungen und lebenslanges Lernen. Es geht aber auch um eine zukunftsfeste frühkindliche und schulische Bildung sowie die betriebliche und universitäre Ausbildung. All diese Bereiche sind massiv vom Fachkräftemangel gekennzeichnet, der besorgniserregende Auswirkungen auf die Bildungsqualität zur Folge hat. Dies wirkt sich nicht nur nachteilig auf die individuellen Bildungskarrieren aus, sondern verringert auch die Potenziale unseres Bildungssystems, die dringend benötigten Fachkräfte in ausreichendem Maß hervorzubringen.
Eine weitere zentrale Dimension ist die legale Arbeitsmarktmigration aus Drittstaaten, die höhere Geburtenraten aufweisen als die EU-Staaten, sowie die bessere und schnellere Arbeitsmarktintegration von politisch Verfolgten oder Kriegs- und Katastrophenflüchtlingen. All diese Themen betreffen zentrale Bereiche der öffentlichen Verwaltung.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen in den genannten Fragen zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass Europa an Sicherheit und Wohlstand verliert. Die öffentlichen Dienste und ihre Beschäftigten und die Kontinuität verlässlicher Dienstleistungen für alle in der EU lebenden Menschen sind dabei von zentraler Bedeutung.
Bewertung des dbb
Der dbb
- begrüßt den Schwerpunkt des diesjährigen Europäischen Jahres und ermutigt die Kommission, im Rahmen ihrer unterstützenden und begleitenden Tätigkeit im Bereich Bildung konkrete Initiativen für mehr Kompetenzen folgen zu lassen;
- fordert, den Fachkräftemangel prioritär im Bildungssektor zu bekämpfen, da fehlende Kitaplätze und Unterrichtsausfall anderenfalls weiteren Mangel an qualifizierten Arbeitskräften nach sich ziehen und die Negativeffekte sich mit dramatischen Folgen für die Gesellschaft insgesamt multiplizieren;
- plädiert konkret für eine Stärkung der dualen Ausbildung überall in Europa, um die weniger werdenden Arbeitskräfte optimal zu nutzen und vermeidbare Arbeitslosigkeit zu vermeiden;
- fordert, die Bildungspolitik zur Chefsache zu machen, sie auch auf europäischer Ebene höher zu gewichten und gemeinsam mit den EU-Partnern für die Sicherung und die Stärkung leistungsfähiger, wertebasierter Bildungssysteme entsprechend der nationalen Gepflogenheiten und Traditionen Sorge zu tragen; dazu gehört die Aufwertung aller Bildungsberufe in Europa;
- sieht die überall in Europa zu hohen Schulabbrecherquoten mit Sorge und spricht sich für einen europäischen Dialog über beste Praktiken aus, um möglichst alle jungen Menschen zu beruflichen oder universitären Abschlüssen zu führen, wobei die beruflichen Bildungswege zur Behebung des Fachkräftemangels aufzuwerten sind;
- spricht sich für weitere europäische Ansätze für diskriminierungsfreie und gleichberechtigte Arbeitsmarktchancen aller Bürgerinnen und Bürger aus, unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft;
- fordert weitere Anstrengungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen auf hohem Niveau anzugleichen;
- fordert gezielte Anreize für bessere Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für alle Beschäftigten, besonders auch im öffentlichen Dienst;
- fordert eine umfassende europäische Migrationsstrategie, die für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen, eine Stabilisierung der EU-Nachbarschaft, eine faire und arbeitsmarktorientierte Verteilung der Migration auf die gesamte EU und die nachhaltige Stärkung der Integration sorgt;
- regt strategische Bildungspartnerschaften mit Drittstaaten in Europas Nachbarschaft mit Geburtenüberschüssen an, um im wechselseitigen Interesse dortige Arbeitsmärkte zu stärken und legale Arbeitsmigration nach Europa zu ermöglichen. Dies könnte, um das systematische Abschöpfen der besten Talente zu vermeiden, im Wege von Losverfahren geschehen, an denen sich Absolventen etwa von europäisch co-finanzierten Berufsschulen beteiligen können. Dies würde brain drain vermeiden, demografischen Druck mindern, auf beiden Seiten Arbeitsmärkte und damit gesellschaftliche Stabilität unterstützen und auch die wechselseitigen Handelsbeziehungen stärken;
- erachtet die gezielte Anwerbung auch von Drittstaatsangehörigen für Aufgaben im öffentlichen Dienst und die Öffnung hoheitlicher Aufgaben im Kernbereich für EU-Staatsangehörige für erwägenswert;
- plädiert für bessere Beschäftigungsbedingungen für Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Dienst;
- fordert, digitale Technologien nicht für Rationalisierungsprozesse einzusetzen, sondern um ein besseres, nachhaltigeres Leben zu ermöglichen; keine Maschine, keine Maschinenintelligenz kann menschliche Kompetenz ersetzen, zu der Empathie, Ermessen und Fehlertoleranz unverzichtbar gehören; die EU sollte einen ethischen Rahmen für das Zusammenwirken von Mensch und Maschine in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts entwickeln;
- spricht sich angesichts des Fehlens von Fachkräften praktisch überall in Europa für gemeinsame Arbeitsmarktstrategien und die Suche nach Synergieeffekten aus, die den Wettbewerb und das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in eine vernünftige Balance bringen;
- fordert, dass Maßnahmen ergriffen werden, um das Bewusstsein für die Bedeutung von lebenslangem Lernen zu stärken und entsprechende Bildungsangebote zu fördern. Dazu gehören beispielsweise die Bereitstellung von finanziellen Anreizen für Weiterbildungen und die Unterstützung bei der Implementierung von Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte;
- sieht angesichts der fortschreitenden Digitalisierung einen großen Bedarf, die digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung zu stärken. Dazu gehört die Integration digitaler Bildungsinhalte in Schulen und Hochschulen, die Förderung von IT-Weiterbildungen für Arbeitsuchende und die Schaffung von digitalen Lernplattformen;
- fordert, dass Mechanismen geschaffen werden, um nicht-formale und informelle Kompetenzen zu erkennen und zu validieren. Dies ermöglicht eine bessere Integration von Menschen mit Erfahrungen in informellen Bildungsbereichen, wie zum Beispiel ehrenamtlicher Arbeit, in den Arbeitsmarkt;
- fordert, dass die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Kompetenzentwicklung verstärkt gefördert werden sollte. Dies kann durch den Austausch bewährter Praktiken, die Unterstützung von Austauschprogrammen für Studierende und Fachkräfte sowie die Förderung von grenzüberschreitenden Projekten und Partnerschaften geschehen.