Gespräch mit Ralf Fücks
Ralf Fücks ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Nichtregierungsorganisation Zentrum Liberale Moderne.
dbb europathemen: Sie haben mit dem Zentrum Liberale Moderne eine Denkfabrik ins Leben gerufen. Wofür steht LibMod? Welche Ziele verfolgen Sie?
Fücks: Als wir LibMod 2017 aus der Taufe gehoben haben, war die antiliberale Gegenoffensive bereits in vollem Gang: Trump in den USA, Brexit, der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien in Europa, Erdogan und die autoritäre Regression der Türkei, die Herausforderung durch aggressiv auftrumpfende autoritäre Mächte mit Russland, China und dem Iran an der Spitze. Inzwischen ist die Lage ja nicht besser geworden. In Deutschland ist die Demokratie noch relativ robust, aber man spürt die Risse im Fundament: die wachsende Polarisierung, den steigenden Wutpegel in der Bevölkerung und den Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen.
Wir verstehen uns als Denkwerkstatt und Diskussionsplattform zur Verteidigung und Erneuerung der liberalen Demokratie. Das eine ist von dem anderen nicht zu trennen. Mit „weiter so“ ist die Zukunft nicht zu gewinnen.
dbb europathemen: Welche Rolle spielen die Europäische Union und die Debatte um Europas Zukunft in Ihrer Arbeit?
Fücks: Wenn es die EU nicht schon gäbe, müsste man sie jetzt erfinden. Es ist offenkundig, dass die epochalen Herausforderungen nicht mehr im nationalen Maßstab bewältigt werden können. Ob es um die ökologische Transformation geht, um die Verteidigung der Friedensordnung, um die Steuerung von Migration oder um den Wettbewerb mit China: die europäischen Nationen müssen ihre Kräfte bündeln und gemeinsam handeln. Insofern ist die europäische Dimension in unserer Arbeit immer präsent, von der Ukraine bis zur Zukunft der Industriegesellschaft.
dbb europathemen: Was ist Ihr Bild von moderner Staatlichkeit?
Fücks: In der liberalen Tradition muss die Freiheit in erster Linie gegen die Allmacht des Staates verteidigt werden. Das trifft auf autoritäre Systeme immer noch zu. Auch bei uns ist Wachsamkeit gegenüber einem Staat geboten, der immer mehr Kompetenzen an sich zieht und alles regeln will. Zugleich ist der demokratische Rechtsstaat unverzichtbar für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften. Er ist unser aller Organ, um unsere gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu regeln. Das erfordert Transparenz und Beteiligung. Der Staat ist den Bürgern rechenschaftspflichtig, nicht umgekehrt.
dbb europathemen: Was muss geschehen, damit unsere Gesellschaft die Herausforderungen der Zeit meistert?
Fücks: Eine umfassende Antwort würde Seiten füllen. Deshalb hier nur eins: Wir müssen die Zuversicht zurückgewinnen, dass wir eine bessere Zukunft gestalten können. Demokratisches Selbstbewusstsein statt Furcht. Das gilt für die Bewältigung der Klimakrise wie für unser Handeln gegenüber Russlands Angriff auf die Ukraine.
dbb europathemen: Welche Bedeutung messen Sie dem öffentlichen Diensten und seinen Beschäftigten dabei zu?
Fücks: Je komplexer und individualistischer unsere Gesellschaft wird, desto größer die Bedeutung öffentlicher Institutionen. Der öffentliche Dienst ist zugleich Dienstleister der Gesellschaft wie Hoheitsorgan, das über das Leben der Bürger bestimmt. Dieser Doppelnatur sollten sich die Beschäftigten immer bewusst sein. Von ihrer Qualifikation und Berufsethik hängt viel ab. Das heißt auch, dass Beamte nicht parteipolitisch agieren dürfen. Sie sind dem Allgemeinwohl verpflichtet und müssen alle Bürgerinnen und Bürger gleich achten.
dbb europathemen: Sie gehörten zu den frühen Warnern vor Russland. Wie groß ist die Gefahr für Deutschland und Europa? Was ist Ihre Prognose für die nächsten Jahre?
Fücks: Die deutsche Politik hat allzu lange Illusionen über Putin-Russland gepflegt. Wir haben es mit einem skrupellosen, korrupten Machtapparat zu tun, der buchstäblich über Leichen geht, keinerlei rechtliche Normen anerkennt und auf die Restauration des großrussischen Reichs abzielt. Der Kreml hat uns längst den Krieg erklärt, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Mit diesem Regime ist kein nachhaltiger Friede möglich, nicht für die Ukraine und nicht für Europa. Das expansive, gewalttätige, imperiale Russland muss in der Ukraine gestoppt werden, sonst ist in Europa Feuer unter dem Dach. Gleichzeitig ist eine Niederlage in der Ukraine Voraussetzung für einen demokratischen Wandel in Russland. Bis dahin müssen wir das Regime mit einer Politik der Eindämmung und Abschreckung in Schach halten und die demokratische Opposition nach Kräften unterstützen.