Interview mit Romain Wolff und Klaus Heeger
Ein starkes Mandat für die Zukunft der Arbeit in Europa: Romain Wolff und Klaus Heeger sprechen über ihre Wiederwahl an der CESI-Spitze.
dbb europathemen: Herr Wolff, Herr Heeger, Sie wurden erneut an die Spitze der CESI gewählt. Was bedeutet diese Wiederwahl für Sie persönlich und welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer neuen Amtszeit setzen?
Romain Wolff: Die Wiederwahl bedeutet für mich eine Bestätigung des Vertrauens in unsere Vision und Arbeit. Persönlich ist es eine Chance, weiter an den Prinzipien Unabhängigkeit, Einheit und Fortschritt zu arbeiten. In der neuen Amtszeit möchte ich die Attraktivität öffentlicher Dienstleistungen weiter stärken und die Position der CESI als zentrale Stimme in Europa für soziale Gerechtigkeit weiter ausbauen.
Klaus Heeger: Für mich ist die Wiederwahl eine Verpflichtung, unsere doch nicht unerheblichen Erfolge weiterzuführen. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern haben wir im Generalsekretariat der CESI während der letzten Jahre versucht, neue Maßstäbe zu setzen, und waren damit, denke ich, in weiten Teilen erfolgreich. Wir haben unsere legislative Interessenvertretung gestärkt, unsere Arbeit in den sozialen Medien professionalisiert, mehr EU-Gelder als je zuvor für Projekte unserer Europaakademie erhalten. Auch haben wir auch unser Engagement im europäischen sozialen Dialog ausgebaut, konnten der CESI den Zugang zu einem weiteren Ausschuss des europäischen sozialen Dialogs – dem zu sozialen Diensten – sichern, was eine gute Nachricht für den für uns vertretenen Gewerkschaftspluralismus ist. All dies ist ein Zeugnis dafür, dass wir nicht schlecht gearbeitet haben. Auf dieser Grundlage möchte ich die Arbeit fortsetzen, denn es gibt noch viele Baustellen: Wir müssen weiterwachsen, unsere Lobbyarbeit optimieren, unsere Mitglieder dazu bringen, sich noch mehr als bisher in die europäische Arbeit einzubringen, und weiter an unserem Profil als unabhängiger Gewerkschaftsdachverband arbeiten.
dbb europathemen: Ein zentraler Punkt des CESI-Leitantrags ist die Forderung nach gewerkschaftlichem Pluralismus und einem inklusiven sozialen Dialog. Welche Schritte plant die CESI, um diese Prinzipien auf europäischer Ebene stärker zu verankern?
Klaus Heeger: Es bestehen nach wie vor strukturelle Hindernisse im europäischen sozialen Dialog, die derzeit den Gewerkschaftspluralismus und die Vielfalt der Arbeitnehmervertretung entgegenstehen. Die müssen beseitigt werden. Ein zentrales Problem bleibt, dass etablierte Sozialpartner quasi selbst bestimmen können, ob sie weiteren relevanten Akteuren den Zugang zu (sektoralen) Ausschüssen des sozialen Dialogs ermöglichen. Dieses Ermessen haben sie auch dann, wenn diese Organisationen nach repräsentativen Kriterien dafür qualifiziert sind; und es liegt in der Natur der Sache, dass bereits anerkannte Partner ungern ihr Monopol teilen. Dies schwächt die Legitimität und Wirksamkeit des sozialen Dialogs erheblich und bleibt daher inakzeptabel, objektiv und subjektiv.
Die CESI wird daher auf die Europäische Kommission einwirken, damit sie ihrer Rolle als Organisator eines funktionierenden sozialen Dialogs auf europäischer Ebene gerechter wird. Alle Organisationen, die in offiziellen Repräsentativitätsstudien als repräsentativ anerkannt werden, müssen Zugang zum sozialen Dialog haben.
Gewerkschaftspluralismus ist für die CESI von zentraler Bedeutung – nicht nur, um die Breite und Vielfalt der Arbeitnehmerinteressen in Europa besser abzubilden, sondern auch, um den sozialen Dialog als Instrument einer ehrgeizige Sozial- und Beschäftigungspolitik der EU einzusetzen.
Schließlich geht es um die Einbindung möglichst vieler Gewerkschaften in die Gestaltung der europäischen Sozialpolitik, aber auch in das europäische Einigungswerk – dass dies von Gewerkschaften weiterhin unterstützt wird, ist um unserer aller Zukunft Willen ganz entscheidend. Hier geht es also um mehr als die CESI.
dbb europathemen: Die CESI betont die Notwendigkeit eines ‚New Social Deal‘ für Europa. Welche konkreten Impulse werden Sie setzen, um gute Arbeitsbedingungen und den Kampf gegen prekäre Beschäftigung voranzutreiben?
Romain Wolff: Wir fordern mit Nachdruck, dass die Ziele der Europäischen Säule sozialer Rechte verwirklicht werden und gute Arbeitsbedingungen in Europa gefördert werden. Dabei stehen der Aufbau nachhaltiger Sozialschutzsysteme, die allen Bürgern, insbesondere gefährdeten Gruppen, Sicherheit bieten, sowie die Bekämpfung prekärer Beschäftigungsverhältnisse im Fokus. Es geht darum, faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und eine ausgewogene Work-Life-Balance zu gewährleisten. Gleichzeitig setzen wir uns für Chancengleichheit am Arbeitsplatz ein, um allen Menschen Zugang zu Beschäftigung und Bildung zu ermöglichen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung von lebenslangem Lernen, damit Arbeitnehmer sich an technologische und wirtschaftliche Veränderungen anpassen können. Zudem wird ein gerechter Übergang für Beschäftigte unterstützt, die von ökologischen oder technologischen Umbrüchen betroffen sind. Mit diesem ganzheitlichen Ansatz möchte die CESI soziale Gerechtigkeit stärken, Arbeitnehmerrechte ausbauen und ein sozial inklusives Europa schaffen.
Der CESI obliegt als europäischer Sozialpartner und gewerkschaftlichen Interessenverband eine wichtige Rolle, politische Forderungen für gute Arbeit in Europa an die Europäische Institutionen, insbesondere die Kommission zu richten und Lösungsansätze zu umreißen.
dbb europathemen: Welche Erwartungen haben Sie an die neue EU-Kommission?
Romain Wolff: Von der neuen EU-Kommission erwarte ich, dass sie soziale Gerechtigkeit konsequent in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt. Die vollständige Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte muss dabei oberste Priorität haben, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Mitgliedstaaten anzugleichen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Stärkung von Sozialschutzsystemen gelegt werden, die den am meisten gefährdeten Gruppen zugutekommen.
Klaus Heeger: Ganz genau. Die Europäische Kommission muss weiter dabei helfen, die Europäischen Säule sozialer Rechte mit konkreten Vorschlägen zu solch zentralen Themen umzusetzen. Wir benötigen weitere Impulse, darunter eine neue EU-Richtlinie zur Regulierung der Digitalisierung der Arbeitswelt. Diese Richtlinie sollte Mindeststandards für mobiles Arbeiten, das Recht auf Nichterreichbarkeit und den Schutz vor digitaler Überwachung definieren.
Darüber hinaus sollte die Kommission eine neue Initiative für einen gerechten Wandel vorlegen, um Beschäftigte zu unterstützen, die von technologischen oder ökologischen Umbrüchen betroffen sind. Sie sollte sicherstellen, dass der „Green Deal“ und die digitale Transformation mit sozialem Ausgleich einhergehen und niemand zurückgelassen wird.
Insgesamt erwarte ich von der neuen EU-Kommission, dass sie die soziale Dimension Europas im Rahmen ihrer Kompetenzen ausbaut, ambitionierte Maßnahmen zur Bekämpfung prekärer Beschäftigung ergreift und sich als Garant für Arbeitnehmerrechte positioniert. Dies betriff sowohl den privaten Sektor als auch, in ihrem Zuständigkeitsbereich, den öffentlichen Dienst.
dbb europathemen: In vielen europäischen Ländern kämpfen öffentliche Dienste mit Personalmangel und schwierigen Arbeitsbedingungen. Welche Strategien verfolgt die CESI, um auf EU-Ebene für attraktivere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor zu werben?
Klaus Heeger: Die CESI fordert verstärkte Investitionen in öffentliche Dienste, um deren Attraktivität zu steigern und den Personalmangel zu bekämpfen. Wichtige Maßnahmen sind faire Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gezielte Work-Life-Balance-Programme. Besonders in ländlichen Regionen sind gut ausgestattete öffentliche Dienste essenziell. Zudem müssen Modernisierungen und Weiterbildungen vorangetrieben werden, damit der öffentliche Sektor zukunftsfähig bleibt.
Romain Wolff: Es ist in der Tat von überragender Bedeutung, dass Investitionslücken in öffentlichen Dienste, die sich vielerorts über Jahre aufgestaut und zu Personalmangel und Überarbeitung geführt haben, geschlossen werden. Insgesamt unterstützen wir das gegenwärtige System der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU, dass in den Mitgliedstaaten eine ausgewogene Balance zwischen Reformen, haushälterischer Disziplin und Investitionen vorsieht. In Hinsicht auf Investitionen dringen wir als CESI dabei vor allem darauf, dass die finanzielle und personelle Unterbesetzung der öffentlichen Dienste beendet wird. Die öffentlichen Dienste sind das Rückgrat unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Ohne sie können wir viele gemeinsame Herausforderungen nicht meistern. Wir müssen sie deshalb so aufstellen, dass sie auch in Drucksituationen funktionieren und nicht an ihre Grenzen stoßen, wie es z.B. während der Covidpandemie oder der Flüchtlingswellen aus Syrien geschehen ist. Das fängt bei der Personalplanung und deren Finanzierung an, und es beinhaltet auch gute Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Wir sollten nicht vergessen: Auch im öffentlichen Dienst gibt es prekäre Beschäftigung und problematische Arbeitsumfelder, die der Leistungsfähigkeit des Personals diametral entgegenstehen. Mal ganz davon abgesehen, sollte der öffentliche Dienst prinzipiell gute Arbeitsbedingungen anbieten.
dbb europathemen: Die CESI fordert eine Überarbeitung der Richtlinie über befristete Arbeitsverträge und eine neue Richtlinie zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Worum geht es dabei konkret?
Klaus Heeger: Beide Initiativen betreffen Themenfelder von übergeordneter Bedeutung, um Verbesserungen in den gerade von Romain angesprochenen prekären Beschäftigungsverhältnissen und problematischen Arbeitsumfeldern herbeizuführen, die es in Europa zu oft gibt. Die CESI fordert eine Überarbeitung der EU-Richtlinie zu befristeten Arbeitsverträgen, um Diskriminierung von atypisch Beschäftigten -in Bezug auf Umstände, die nicht speziell mit der Befristung zusammenhängen- im Vergleich zu unbefristet angestellten Arbeitnehmern zu beenden. Dazu gehört insbesondere, dass sie dieselben Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen wie vergleichbar fest angestellte Kollegen erhalten.
Zudem sollten der Missbrauch aufeinander folgender befristeter Verträge verhindert und die Jobsicherheit erhöht werden.
Darüber hinaus setzten wir uns als CESI dafür ein, dass atypisch Beschäftigte einen ausreichenden Zugang zu Weiterbildung und beruflicher Entwicklung erhalten. Nur so können sie langfristige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt entwickeln und, wo möglich, in feste Positionen wechseln.
Mit diesen Maßnahmen möchten wir sicherstellen, dass die Grundsätze von Fairness und sozialer Gerechtigkeit gestärkt und bestehende Ungleichheiten beseitigt werden. Eine Überarbeitung der Richtlinien ist entscheidend, um einen gerechteren europäischen Arbeitsmarkt zu schaffen, der Arbeitnehmer angemessen schützt. Was ich betonen möchte: Dies betrifft nicht nur den privaten Sektor, sondern auch unter Druck geratene öffentliche Dienste. Wie es Romain schon eingangs sagte: Auch dort gibt es Tendenzen zu prekärer Beschäftigung und problematischen Arbeitsumfelder, verursacht indirekt auch durch den langen Arm von Privatisierungen. Überarbeitete Richtlinien zu befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeitarbeit und Leiharbeit könnten hier ein Stück weit Abhilfe schaffen.
dbb europathemen: Die CESI spricht sich gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen aus. Welche politischen Maßnahmen planen Sie, um eine Rekommunalisierung und Stärkung öffentlicher Dienste auf europäischer Ebene zu fördern?
Romain Wolff: Als CESI betonen wir die entscheidende Bedeutung öffentlicher Dienste und Verwaltungen für die Bewältigung von Krisen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die COVID-19-Pandemie, die Migrationskrise und der Krieg in der Ukraine haben gezeigt, dass widerstandsfähige öffentliche Dienste von zentraler Bedeutung sind, insbesondere in Krisensituationen. Um eine langfristige Resilienz zu gewährleisten, müssen öffentliche Dienste vor Kürzungen bestmöglich geschützt und mit ausreichendem Personal, moderner Ausstattung und angemessenen Ressourcen ausgestattet werden.
Wir möchten deshalb, dass die EU ihre Mitgliedstaaten dabei unterstützt, öffentliche Dienste zu stärken und re-kommunalisierte Strukturen auszubauen. Hierzu sollten EU-Förderprogramme wie NextGenerationEU gezielt genutzt werden, um Investitionen in Personal, Infrastruktur und Arbeitsbedingungen zu fördern. Es braucht vor allem angemessene Bezahlung, faire Renten und bessere Karriereperspektiven für Beschäftigte im öffentlichen Sektor. Eine gut ausgestattete öffentliche Verwaltung ist der Schlüssel zu wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt, besonders in strukturschwachen und abgelegenen Regionen.
Klaus Heeger: Richtig. Lange Jahre haben öffentliche Dienste und deren Personal durch Kürzungen gelitten, während Privatisierungen forciert wurden. Dies hat oft nicht zu gewünschten Verbesserungen in der Effizienz und Qualität geführt. Im Gegenteil. Die CESI fordert deshalb, dass die EU öffentliche Dienste als Fundament gesellschaftlicher Resilienz wieder stärker in den politischen Fokus rückt. Privatisierung sowie reine Markt- und Gewinnorientierung haben gezeigt, dass sie die Qualität und Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Sektor oft verschlechtern. Trotz Binnenmarkt muss die EU wRekommunalisierung öffentlicher Dienste fördern, wenn es dem Allgemeinwohl dient.
Wir sind weiterhin der Meinung, dass viele Ausgaben in die öffentlichen Dienste keine Kosten, sondern Investitionen in die Zukunft sind und zur langfristigen Stabilität und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors beitragen. Um diese Investitionen in Zeiten knapper Haushalte zu tätigen, sollten neue Einnahmequellen insbesondere durch eine effektivere Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung erschlossen werden. Dieser Diskurs kommt weiterhin viel zu kurz.
Die CESI fordert außerdem eine Überprüfung der europäischen wirtschaftspolitischen Steuerung, um sicherzustellen, dass Mitgliedstaaten notwendige Investitionen in öffentliche Dienste tätigen können, ohne ihre finanzielle Stabilität zu gefährden. Nur durch eine klare Priorisierung des öffentlichen Sektors kann der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und die Resilienz gegenüber zukünftigen Krisen gesichert werden.
dbb europathemen: Was ist Ihre persönliche Vision für die CESI in den kommenden Jahren? Welche langfristigen Erfolge möchten Sie in Ihrer neuen Amtszeit erzielen?
Klaus Heeger: Ich sehe die CESI als eine führende Kraft in Europa für soziale Gerechtigkeit. Langfristig möchte ich die Position unabhängiger Gewerkschaften stärken und die CESI als treibende Kraft für den sozialen Fortschritt etablieren. Kürzlich sagte mir eine Vertreterin aus einer EU-Institution unter vier Augen: „Wenn es die CESI nicht gäbe, dann müsste man sie erfinden.“ Das zeigt: Wir werden gebraucht, und von uns wird erwartet, dass wir uns weiterhin erfolgreich in politische Diskurse einbringen.
Romain Wolff: Meine Vision für die CESI ist, dass wir eine Schlüsselrolle in der Gestaltung des europäischen Arbeitsrechts einnehmen. Ich möchte außerdem eine noch engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsgewerkschaften der CESI erreichen, um gemeinsam auf eine gute Zukunft der Arbeit hinzuwirken.