Neue EU-Kommission startet: Visionen zwischen Anspruch und Realität
Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen beginnt ihre zweite Amtszeit mit ambitionierten Zielen und einer neu aufgestellten Mannschaft.
Von Klimaschutz über Wettbewerbsfähigkeit bis hin zur geopolitischen Stärke – die Herausforderungen sind gewaltig. Doch ob die angekündigten Reformen und Strategien mehr als nur wohlklingende Versprechen bleiben, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Knapp sechs Monate nach den Europawahlen hat das Europäische Parlament die neue EU-Kommission für die Amtszeit von 2024 bis 2029 bestätigt. Mit 370 Ja-Stimmen, 282 Gegenstimmen und 36 Enthaltungen fiel das Votum zwar deutlich, jedoch nicht überragend aus. Ursula von der Leyen, die erneut das Amt der Kommissionspräsidentin übernimmt, zeigte sich dennoch dankbar und sprach von einem „guten Tag für Europa“. Die Kommission werde umgehend ihre Arbeit aufnehmen, um sich den zahlreichen Herausforderungen zu stellen.
In ihrer Ansprache an das Parlament bedankte sich von der Leyen ausdrücklich bei den scheidenden Kommissionsmitgliedern. Ihre Worte spiegelten eine gewisse Selbstzufriedenheit wider, als sie das bisherige Team für sein Engagement und seine Tatkraft lobte – eine Bewertung, die nicht von allen geteilt wird, angesichts der zahlreichen ungelösten Probleme in der EU.
Die neue Kommission betonte einmal mehr den Anspruch, sich für Freiheit, Sicherheit und Souveränität einzusetzen. Besonders die Unterstützung der Ukraine sowie der Umgang mit globalen Herausforderungen standen im Mittelpunkt der Rede. Kritiker bemängeln jedoch, dass von der Leyens Worte zu oft in abstrakten Begriffen wie „Freiheit“ oder „Sicherheit“ verharren und konkrete Lösungsansätze fehlen. Der „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“, den die Kommission als erste große Initiative angekündigt hat, soll die europäische Wirtschaft voranbringen, bleibt aber in seiner Ausgestaltung vage. Die vorgesehenen Säulen – Förderung von Innovation, Dekarbonisierung und Abbau von Abhängigkeiten – decken zwar wichtige Themen ab, doch die Umsetzung wird maßgeblich darüber entscheiden, ob die EU tatsächlich Boden gegenüber den wirtschaftlichen Konkurrenten USA und China gutmachen kann.
Die Zusammensetzung der neuen Kommission wurde von der Kommissionspräsidentin als „vielfältig und repräsentativ“ gepriesen. Die Liste der Kommissarinnen und Kommissare umfasst Vertreter mit unterschiedlichsten beruflichen und regionalen Hintergründen. Dabei wurden gezielt neue Portfolios geschaffen, etwa für Start-ups, Klimaneutralität oder Generationengerechtigkeit, die auf drängende Zukunftsfragen reagieren sollen. Gleichzeitig steht die EU vor der Herausforderung, die Arbeit der Kommission effizient zu koordinieren, gerade angesichts des Wegfalls der bisherigen Vizepräsidenten-Ebene. Die „vernetztere und schlankere“ Struktur birgt die Gefahr, dass Entscheidungsprozesse unklarer werden.
Ein zentraler Schwerpunkt bleibt die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft im Rahmen des Green Deals. Zwar sollen Initiativen wie der „Clean Industrial Deal“ oder die Förderung einer wettbewerbsfähigen Kreislaufwirtschaft Unternehmen und Bürger auf diesem Weg unterstützen, doch die praktische Umsetzung stößt bereits jetzt auf Widerstände, besonders aus der Industrie und von Mitgliedstaaten, die eine Überregulierung fürchten. Der Balanceakt zwischen ehrgeizigen Klimazielen und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit wird zu einer der größten Bewährungsproben der neuen Kommission.
Auch im Bereich der Außenpolitik hat sich die EU ambitionierte Ziele gesetzt. Die Rolle Europas auf der internationalen Bühne soll gestärkt werden, insbesondere durch Initiativen wie die „Global Gateway“-Strategie und die Unterstützung der Ukraine. Gleichzeitig sieht sich die EU mit der zunehmenden Instabilität in ihrer Nachbarschaft und den Herausforderungen einer multipolaren Welt konfrontiert. Die Ernennung von Kaja Kallas zur Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik könnte neue Impulse bringen, doch Kritiker warnen, dass Europa Gefahr läuft, zwischen den Großmächten USA und China zerrieben zu werden, falls es keine eigene strategische Vision entwickelt.
Die Herausforderungen im Inneren der Union sind nicht minder groß. Themen wie Migration, soziale Gerechtigkeit und regionale Kohäsion bleiben auf der Agenda. Während sich die Kommission ambitioniert zeigt, etwa durch die Schaffung eines „strategischen Dialogs“ zur Zukunft der Landwirtschaft oder Initiativen zur Verbesserung der Kompetenzen der europäischen Arbeitskräfte, stellt sich die Frage, ob die Vielzahl an Vorhaben nicht zu einer Überforderung führt. Der Ruf nach einem schlankeren bürokratischen Apparat und mehr Fokus wird lauter.
Insgesamt vermittelt die Vorstellung der neuen Kommission ein Bild von ambitionierten Zielen und breit gefächerten Zuständigkeiten, doch die Praxis wird zeigen, ob die EU tatsächlich in der Lage ist, ihre Versprechen einzulösen. Die kommende Amtszeit wird entscheidend dafür sein, ob Europa seine Herausforderungen bewältigt oder in internen Streitigkeiten und ineffektiven Kompromissen verharrt.