• Mario Draghi

Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit

Verstärkte Investitionen für die Zukunft Europas

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Der am 9. September 2024 veröffentlichte Draghi-Bericht zeigt schonungslos strukturelle Schwächen auf, die den Wohlstand in der EU gefährden.

Zu viel Bürokratie, mangelnde Exzellenz, Fragmentierung sowie Defizite bei Produktivität und Innovationskraft – all das wird verschärft durch die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung. Diese Problembereiche betreffen nicht nur die Europäische Union als Ganzes, sondern auch Deutschland, das als größtes Mitgliedsland trotz im internationalen Vergleich gesunder Staatsfinanzen zunehmend als „kranker Mann Europas“ wahrgenommen wird. Der Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit wurde von Mario Draghi, dem ehemaligen italienischen Regierungschef und Ex-Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), verfasst. Draghi, der während der Euro-Schuldenkrise die Gemeinschaftswährung mit dem Versprechen „Whatever it takes“ verteidigte, verzichtet in seinem aktuellen Bericht auf ähnliche Aussagen. Stattdessen richtet er eine unmissverständliche Warnung an die europäischen Entscheidungsträger: Sollte Europa nicht rasch gegensteuern, drohe dem Kontinent wirtschaftlicher Abstieg und der Zerfall als politisches Projekt.

Ursula von der Leyen, die kürzlich als Präsidentin der Europäischen Kommission wiedergewählt wurde, steht nun vor der Herausforderung, die Empfehlungen des Draghi-Berichts in ihrem Arbeitsprogramm umzusetzen. Es bleibt jedoch offen, ob alle EU-Mitgliedstaaten den von Draghi vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmen werden. Besonders Deutschland dürfte sich mit einigen zentralen Aussagen des Berichts schwertun, da Draghi hier an tief verwurzelte deutsche Tabus rührt. Kritik übt der Bericht insbesondere an Deutschlands unzureichenden Investitionen in Zukunftsbereiche wie Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und den Ausbau der Energienetze. Dies sind Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger im Alltag deutlich spüren, etwa in Form von Personalmangel und Investitionsstaus im öffentlichen Sektor. Der Draghi-Bericht deutet an, dass die deutsche Schuldenbremse, obwohl nicht explizit erwähnt, die Flexibilität notwendiger Investitionen einschränkt. Draghi plädiert für verstärkte gemeinsame Investitionen in europäische Gemeingüter und fordert neue Finanzierungsinstrumente wie europäische Anleihen.

Diese Vorschläge werden beim Bundesfinanzminister auf Widerstand stoßen. In Deutschland werden darüber hinaus Populisten Stimmung gegen Europa machen, dieses wolle auf deutsches Geld zugreifen. Doch auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat für Deutschland einen Investitionsbedarf für Deutschland bis 2030 in Höhe von 1,4 Billionen Euro festgestellt. Durch Einsparungen allein wäre dies kaum möglich. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht sich für einen Mix aus steuer- und schuldenfinanzierten Mehrausgaben aus und rüttelt an der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Fassung.

Ein weiteres zentrales Thema des Berichts ist die öffentliche Daseinsvorsorge und damit indirekt auch der öffentliche Dienst, der einen wesentlichen Teil der nationalen Infrastruktur ausmacht. Viele der dort Beschäftigten, deren Wissen und Einsatzbereitschaft von unschätzbarem Wert für das Gemeinwohl sind, werden bis 2025 in den Ruhestand gehen. Dies wird nicht nur Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch seine Rolle innerhalb des europäischen Binnenmarkts und für die europäische Integration beeinflussen. Der Draghi-Bericht ist unbequem, aber gerade deshalb von großer Bedeutung. Die Vorschläge, mehr in europäische Gemeingüter zu investieren und neue Finanzierungswege zu erschließen, mögen in Deutschland auf Widerstand stoßen, doch es mangelt bisher an für Deutschland und Europa überzeugenden Gegenentwürfen. 

 

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