Zeitenwende in Europa
6. European Round Table der unabhängigen Gewerkschaften
Die europäische Verteidigungspolitik hat einen neuen Stellenwert erhalten. CESI-Mitglieder aus dem Verteidigungsbereich diskutieren Folgen der Zeitenwende.
Beim 6. European Round Table in Berlin wurde über die Veränderungen gesprochen, die das Jahr 2022 für die Europäische Verteidigungsunion mit sich gebracht hat. Im Rahmen der Veranstaltung erfolgte eine Bestandsaufnahme der Schritte, die von der EU und den nationalen Akteuren durch die Verabschiedung des Strategischen Kompasses, durch die Bekräftigung und Erweiterung der EU-NATO-Partnerschaften sowie durch Fortschritte bei den Projekten zur Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie und durch die Verwirklichung der „Schnellen Einsatzfähigkeit der EU“ unternommen wurden.
Klaus Heeger, Generalsekretär der CESI, betonte zu Beginn der Diskussion, welche großen Auswirkungen der Angriff Russlands auf die Energie- und Verteidigungspolitik Europas und der Mitgliedstaaten habe. Für eine allgemeine europäische Verteidigungspolitik bedürfe es noch weiterer Anstrengungen. Die Verabschiedung des Strategischen Kompasses sei ein zielführendes Instrument, bekundete Sebastian Clapp, Verteidigungsanalyst beim Forschungsdienst des Europäischen Parlaments. Der Krieg habe, so Clapp, eine große geopolitische Instabilität geschaffen. Durch diese habe sich eine Veränderung in den Einstellungen der Mitgliedstaaten entwickelt. Clapp verwies auf die neuen skandinavischen NATO-Mitgliedschaften und die Zeitenwende-Rede des deutschen Bundeskanzlers.
Lukas Mandl, Mitglied des Europäischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments sowie Stellvertreter im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung, betonte, dass sich durch den Krieg vermehrt für eine verstärkte Verteidigungsinfrastruktur innerhalb Europas ausgesprochen wurde. Mandl forderte in diesem Zusammenhang, dass der europäische Verteidigungsfonds aufgestockt werden solle. Mary Caldorf, Professorin für Global Governance an der London School of Economics, forderte ferner, dass die europäische Union und Nato mehr aufeinander zukommen müssten. Thomas Sohst vom Deutschen Bundeswehrverband und Präsident der CESI-Kommission „Defence“ akzentuierte abschließend, dass in der deutschen Politik viele Prozesse zu langsam ablaufen. Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, welche Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Zeitenwenderede ankündigte, reichten nicht aus, um die materiellen Defizite der letzten Jahrzehnte zu korrigieren. Es müssten erhebliche Anstrengungen gemacht werden, um eine glaubhafte europäische Friedens- und Sicherheitsstruktur für die nächsten Jahrzehnte abzusichern.
Christian Moos, Berichterstatter des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) für den Strategischen Kompass, schilderte die Sicht der europäischen Zivilgesellschaft. Der EWSA fordert mehr Prävention und eine paneuropäische gesellschaftliche Debatte über Sicherheitspolitik. Der Ausschuss kritisiert die nationalen Strukturen der europäischen Rüstungsindustrie, die es durch eine weitere Stärkung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) zu überwinden gelte, um die Kosteneffizienz, Interoperabilität und damit effektive militärische Abschreckung der europäischen Streitkräfte zu erhöhen.