Gastbeitrag von Ansgar Klein (BBE) und Nino Kavelashvili (BBE)
Erwartungen der Zivilgesellschaft an eine europäische Migrationspolitik
Ansgar Klein und Nino Kavelashvili vom BBE berichten über eine gemeinsame Migrationspolitik, die den absehbaren Herausforderungen der Zukunft Stand halten kann.
Die großzügige Willkommenspraxis in Polen, Ungarn und anderen Ländern Osteuropas gegenüber den vor dem Russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohenen Menschen steht in einem starken Kontrast zur ablehnenden Haltung einiger dieser Länder gegenüber den Flüchtlingen aus dem Mittelmeerraum, die ebenfalls vor Hunger und Krieg fliehen.
Aber Europa benötigt eine gemeinsame Migrationspolitik, die den absehbaren Herausforderungen der Zukunft Stand halten kann. So wird etwa der Klimawandel absehbar weitere Migrationsströme in die EU zur Folge haben. Für diese Herausforderungen ist die Idee einer menschenrechtlich basierten Migrationspolitik von zentraler Bedeutung.
Unter großer Zustimmung der Wirtschaft hat der Bundestag in Deutschland ein Gesetz zur Legalisierung und Vereinfachung der Migration von dringend benötigten Fachkräften zugestimmt. Um den Fachkräftemangel zu beheben, sind in der EU auch andere Länder für Arbeitsmigration offen. Diese ist jedoch gebunden an Qualifikationen und Kompetenzen, die auf dem Markt dringend benötigt werden. Natürlich können Qualifikationen und Kompetenzen auch im Aufnahmeland erworben werden, doch dies erfordert mehrjährige Bildungsmaßnahmen und entsprechende Investitionen.
Die vor Krieg und Hunger flüchtenden Menschen, vor allem Frauen und Kinder, finden sich zumeist in den großen Flüchtlingslagern überall auf der Welt, doch speisen Verzweiflung und Hoffnung dieser Menschen eine auch zukünftig unabsehbare Migrationsdynamik in die Länder der EU. Aus guten Gründen verlangen daher die Mittelmeer-Anrainerstaaten eine EU-Solidarität, die sie nicht alleine lässt mit den stetigen Zuwanderungen über das Meer. Erforderlich sind daher in der EU konsentierte Zuteilungsschlüssel/ Quoten von Geflüchteten für jedes EU-Mitgliedsland, die sich nach der wirtschaftlichen Leistungskraft und anderen vergleichbaren zentralen Kriterien bemessen könnten. Auch müssten die Kosten der direkten Mittelmeer-Aufnahmeländer als Erstaufnahmeländer von geflüchteten europäisch gedeckt werden.
Richtig ist auch, Migrationsursachen dort zu bekämpfen, wo sie zu finden sind – eine entsprechende Ausweitung und Stärkung der nationalen wie europäischen Entwicklungspolitik ist daher sinnvoll und notwendig. Die Bedeutung von Migrantenselbstorganisationen in den Mitgliedsländern der EU für den erforderlichen Integrationsprozess ist dabei nicht zu unterschätzen und sie sollten wie auch die Wohlfahrtsverbände unter anderen eng eingebunden werden.
Eine große Herausforderung für die Zivilgesellschaft in Europa stellen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Nationalismus oder auch Antisemitismus dar. Hier ist Zivilgesellschaft in den eigenen Handlungsräumen herausgefordert. Zugleich gibt es auch in einigen Mitgliedsländern der EU Entwicklungen, die die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft einschränken, etwa in Ungarn oder Polen („Shrinking Spaces“).
Demgegenüber pocht die Zivilgesellschaft auf die Bedeutung der Menschenrechte als universale Rechte und sucht ihre eigenen Handlungsräume, werden diese angegriffen, zu verteidigen (BürgerInnenrechte). Freie Öffentlichkeit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit oder ein unabhängiges Gerichtswesen gehören zu zentralen Voraussetzungen einer freien und dynamischen Zivilgesellschaft.
Der Europarat ist schon lange ein wichtiges Forum für die Anliegen der Zivilgesellschaft, doch ist dieses Thema auch für das EU-Parlament und die EU-Kommission von zentraler Bedeutung. Die europäische Migrationspolitik ist zudem angewiesen auf eine starke europäische Engagement- und Demokratiepolitik (die es erst in Ansätzen gibt) sowie auf hinreichend ausgestattete Begleitprogramme der EU zur Förderung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.
Der Rechtsruck in Europa hat neben Polen und Ungarn nun auch Italien und auch Schweden erreicht. Es bleibt abzuwarten, welche Hindernisse sich hier für eine gemeinsame europäische Flüchtlings- und Asylpolitik ergeben werden, die sich auf universale Menschenrechte und die Solidarität der Zivilgesellschaft stützen. Dass eine europäische Sozialpolitik die Mindeststandards festlegen muss, die für ein gutes Leben erforderlich sind, gehört ebenfalls in die Kernagenda. Jetzt schon sind die rechten und rechtspopulistischen Mobilisierungen in den EU-Mitgliedstaaten gut zu sehen, die auf Sozialneid und Ausgrenzung setzen und damit leider bislang beachtliche Mobilisierungserfolge verzeichnen können.