Interview mit Anton Hofreiter
Anton Hofreiter, Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag, spricht mit den dbb europathemen über die europäische Asyl- und Migrationspolitik sowie den Krieg in der Ukraine.
dbb europathemen: Welche Anforderungen hat eine funktionierende europäische Asyl- und Migrationspolitik an die Mitgliedstaaten und ihre Verwaltungen?
Hofreiter: Ziel der Mitgliedstaaten und ihrer Verwaltungen muss es sein, ankommenden Menschen effiziente, schnelle und faire Verfahren zu ermöglichen. Niemanden ist geholfen, wenn er oder sie jahrelang auf eine Entscheidung der Behörden wartet. Deshalb brauchen die Verwaltungen eine ausreichende personelle Ausstattung und klare Entscheidungsregeln.
dbb europathemen: Wie sieht eine gerechte und solidarische Flüchtlingspolitik in Europa aus?
Hofreiter: Voraussetzung für eine gerechte und solidarische Flüchtlingspolitik ist, dass das Grundrecht auf Asyl tatsächlich gewahrt bleibt. Menschenrechtswidrige Maßnahmen wie Pushbacks passen nicht zu Europa. Wir müssen uns klar machen, dass Flucht Realität ist. Das zu ignorieren hat tödliche Folgen für abertausende unserer Mitmenschen, wie uns die Situation im Mittelmeer zeigt. Daher ist die Schaffung sicherer und legaler Fluchtwege für Menschen, die vor Unterdrückung, Gewalt oder Krieg fliehen, zentral.
Gleichzeitig sollten wir unser europäisches Asylsystem fortentwickeln. Nach einer Registrierungsphase in den Staaten mit Außengrenzen könnten Asylsuchende unter Berücksichtigung persönlicher Umstände zunächst nach dem Prinzip der Freiwilligkeit auf die Mitgliedsstaaten der EU verteilt werden. Werden nicht ausreichend Plätze bereitgestellt, würden verpflichtende Mechanismen für die Aufnahme oder für finanzielle Beiträge greifen.
dbb europathemen: Die Frage der Zuwanderung polarisiert die europäischen Gesellschaften. Was kann die Politik tun, dass sich das ändert?
Hofreiter: Ängste vor Zuwanderung werden von vielen Parteien und Politiker*innen ganz explizit geschürt, besonders von Rechtspopulist*innen und Konservativen. Zugewanderte Menschen werden oft als Sündenböcke missbraucht, um, vermeintliche, politische Missstände zu erklären. Eigentlich sollte man von allen Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums erwarten können, dass sie sich nicht an diesem Spiel beteiligen. Leider beweisen gerade CDU oder CSU hierzulande immer wieder das Gegenteil. Ich denke hier zum Beispiel an die Debatte um angeblichen „Sozialtourismus“, den CDU-Chef Merz Geflüchteten aus der Ukraine vorgeworfen hat. Das ist ein echtes Problem.
Zugewanderte Menschen dürfen keine Bürger*innen zweiter Klasse sein. Ihre Integrationsanstrengungen müssen durch Qualifizierungsangebote für Sprache und Aus-Bildung unterstützt werden. Der Zugang zu geeignetem Wohnraum, zu Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt ist schnellstmöglich und verlässlich sicherzustellen. Unter diesen Voraussetzungen haben die Menschen eine echte Chance, selbstbestimmte und produktive Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden – und das fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Klar ist auch: Ohne Zuwanderung sieht es aufgrund des demographischen Wandels für Deutschland schlecht aus, etwa im Arbeitsmarkt und Rentensystem. Das Recht auf Asyl besteht aber unabhängig von solchen volkswirtschaftlichen Erwägungen.
dbb europathemen: Wie kann Ihrer Einschätzung nach der Krieg in der Ukraine beendet werden? Was kann Deutschland dafür tun?
Hofreiter: Die Ukraine braucht unsere umfassende Unterstützung: humanitär, wirtschaftlich und in Form von Waffenlieferungen auch militärisch. Erst wenn Putin erkennt, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann und sich eine Fortsetzung desselben nicht lohnt, wird er zu Verhandlungen bereit sein. Lässt man Russland gewähren, dann hört nicht nur die Ukraine auf zu existieren. Es bedeutet die Rückkehr zum Recht des Stärkeren in der internationalen Ordnung. Wer sich nicht wehren kann, muss um seine Existenz bangen. Das würde zu einer extremen Aufrüstungsspirale und Bedrohungssituationen führen, die die weltweite Sicherheit in Frage stellen.
dbb europathemen: Wie schätzen Sie die verteidigungspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ein? Wie könnte diese verbessert werden?
Hofreiter: Der russische Angriffskrieg hat auf europäischer Ebene eine völlig neue Dynamik der Kooperation der Mitgliedsstaaten ausgelöst. Jetzt muss es darum gehen, vor allem bei der gemeinsamen europäischen Beschaffung voranzukommen. Es ist teuer und ineffizient, wenn jeder Mitgliedsstaat seine eigenen Hubschrauber und Panzermodelle entwickeln lässt und erschwert die länderübergreifende Zusammenarbeit. Standardisierte Waffensysteme und eine einheitliche Ausbildung der Soldat*innen ermöglichen eine enge Kooperation und schaffen Sicherheit. Dabei ist es entscheidend, dass sich die EU auch in Zukunft eng mit der NATO abstimmt.